Johannes
Butzbach
Benediktinerprior im Kloster Maria Laach.
von Dr. Pendzig, Coblenz.
Aus der Zeit des älteren deutschen Humanismus haben mir nicht
gerade viele Persönlichkeiten, die mit der Abtei Laach, der Abtei Sayn,
der Stadt Coblenz oder deren Umgebung in Beziehung gestanden und die der
wissenschaftlichen und allgemein menschlichen Gehalt der neuen, eigenartigen
Geistesbewegung begriffen und in sich aufgenommen und durch eigene
Schöpfungen von sich aus wiederzugeben verstanden haben, wie sie uns
in J o h a n n e s B u tz b a ch erscheint. Von seiner
Entwicklung können wir uns ein anschauliches, lebensvolles Bild machen,
das übrigens auch an allgemeinen, für jene Kulturzustände
typischen Zügen reich ist. Wie anziehend hat er selbst über seine
Jugend- und Wanderjahre erzählt in seinem Hodoporicon, dem
Wanderbüchlein, das in der lateinischen Handschrift auf der
Universitätsbibliothek in Bonn sich befindet und von dem Johann Damian
Becker, der unlängst verstorbene emeritierte Pfarrer in Oberwesel, mit
feiner Einfühlung uns eine sinn- und gemütvolle Uebersetzung
geschaffen hat.
Johannes wurde als ältestes unter einer zahlreichen
Kinderschar im Jahre 1478 in Miltenberg a/Main geboren, der Sohn des Meister
Conrads, eines ehrenwerten, nicht unbemittelten Webers; nach seiner Herkunft
nannte er sich später gutem Humanistenbrauch folgend mit dem lateinischen
Namen Piemontanus. Von seiner Tante in den ersten Kindheitsjahren
verständig erzogen, kam er im sechsten Jahre in die Schule. - Aber ihm
wurde von dem unbarmherzigen Schulmeister wegen einiger Kinderstreiche so
übel mitgespielt, daß der Vater froh war, ihn nach der Sitte der
Zeit einem älteren fahrenden Schüler anzuvertrauen, der den kleinen
Johannes in seine Obhut nehmen und auf fremden Schulen bei der Erlernung der
Wissenschaften behilflich sein sollte. Doch kaum waren sie aus den Augen des
Vaters, als der treulose Schüler sein wahres Gesicht zeigte: Er verwendete
die Barschaft des Schützlings für sich, und dazu mußte der arme
Johannes auf ihren Wanderfahrten das tägliche Brot mühsam
zusammenbetteln und Schimpf und Schläge über sich ergehen lassen. Als
es ihm gelungen war, seinem Peiniger zu entrinnen, besserte sich sein Schicksal
nicht; er kam zu einem böhmischen Adeligen, der ihn schlecht behandelte.
Er entfloh und gewann schließlich die Heimat wieder. Hier hatte sich
manches geändert: Der Vater war tot, und Johannes mußte in
Aschaffenburg das Schneiderhandwerk lernen. Nach zwei bitteren Lehrjahren kam
er auf seiner Wanderschaft nach Johannisberg im Rheingau und wurde
Klosterschneider. Aber so bunt auch seine Erlebnisse gewesen, tief im Herzen
hatte er sich den Sinn für das Ideale und eine warme Neigung für die
Wissenschaften zu bewahren gewußt. Endlich ging sein Sehnen in
Erfüllung: Im August 1498, als Johannes bereits 20 Jahre alt geworden, kam
er in die Stiftsschule ad St. Lebuinum zu Deventer, die unter dem Rektor
Alexander Hegius damals die blühendste und bedeutendste Lateinschule
Deutschlands war und in der jedenfalls im westlichen Deutschland zuerst neben
dem lateinischen auch griechischer Unterricht planmäßig erteilt
wurde. Und wenn der Lernbegierige sich zu den Kleinen setzte und allen
niedrigen Umständen, auch drückendem Mangel und quälender
Krankheit zum Trotz, durchhielt und in zwei Jahren von den 8 Klassen der
Anstalt fünf erledigte und bis zur drittobersten kam, so kann das in der
Tat als Beweis für seine Willenskraft und Begabung gelten. Da trat das
Schicksal bestimmend in sein Leben: Im November 1500 erschien ein Pater des
Benediktinerklosters Laach in Deventer, um im Auftrage des Abtes tüchtige
Schüler für das Kloster zu gewinnen, und Johannes folgte mit einem
Studienfreunde diesem Rufe. Ueber Köln, Bonn und Andernach ging die Reise
nach dem Kloster auf Niederwerth, wo der Prior Adam von der Leyen die
Gesellschaft freundlich aufnahm. Dann ging es weiter über Coblenz und
Bassenheim nach Saffig. "Auf dem ganzen Weg von Deventer bis Coblenz hatte mir
der Gedanke keine Ruhe gelassen, ich sollte, einmal in Coblenz angekommen,
meinen Kameraden lassen und weiter den Rhein hinaufwandern und nicht für
immer so tief in Niederdeutschland bleiben. Ich erachtete aber solches für
eine Einflüsterung des Teufels und schlug mirs aus den Gedanken. So
schritten wir fürbaß nach Laach." Seine Ankunft in Laach schildert
Johannes also:
"Es war am 18. Dezember, als wir hier ankamen; die Brüder
waren eben bei Tisch. Wir traten ein und gingen unserem Führer nach zuerst
in die Kirche, indem ich sprach:
Haec requies mea in saeculum saeculi; hic habitabo, quoniam elegi
eam . . . . Als wir die Kirche besucht hatten kam uns alsbald der Bruder
Gasthalter gar liebreich, heiter und gütlich entgegen, führte uns
herein, ließ gleich den Tisch decken, und da wir noch nüchtern
waren, sorgte er, daß wir mit reichlicher Mahlzeit erquickt wurden. Als
das Mahl vorüber war, fand der hochwürdige Herr Abt sich ein. Wir
standen auf vor ihm und wurden von ihm nach seiner Weise mit Wohlwollen
empfangen. Indem er sich mit uns unterhielt, erkundigte er sich wer und woher
wir seien, wie es mit unserem Vorhaben und unserer Tauglichkeit bestellt sei.
Alsdann führte er uns mit dem Prior in den Räumlichkeiten des
Konvents umher."
Der junge Ordenskandidat hatte nun die erste Probezeit zu bestehen
bis zum 21. März, dem Feste des hl. Benedikt, des Ordensvaters, wo er in
das Noviziat aufgenommen wurde. Unter den Ordensbrüdern, die er in Laach
antraf, erwähnt er auch einen Heinrich von Coblenz, mit dem ihn besondere
Freundschaft verband.
In Laach war das Klosterleben zu einer neuen Blüte erwacht,
eine Folge der durch Abt Adam Meyer. In vielen rheinischen Klöstern
eingeführten Bursfelder Reform, einer Erneuerung des kirchlichen und
klösterlichen Geistes, die sich bei den durch die Bursfelder Kongregation
vereinigten Klöstern so vorzüglich bewährt hatte. Mit Eingabe
seiner ganzen Persönlichkeit lebte Johannes sich in den Geist der Regel
ein und kannte keine Schonung seiner Kräfte, um den höchsten
Anforderungen zu genügen. Kein Wunder, daß er als Mönch durch
das Vertrauen seiner Mitbrüder bald zum Novizenmeister und dann zum Prior,
d.h. zur höchsten Würde nach dem Abt, berufen wurde. Wie schön
er es in Laach fand, davon zeugen folgende Worte, die dem Kloster und der
Oertlichkeit gelten: "Nimm hinzu die Pracht und Herrlichkeit des
Klostergebäudes, deren man sich nie genug verwundern kann! Wer wäre
jemals imstande, würdig zu beschreiben jene bauprächtige Kirche mit
ihrem Chor und ihrer doppelten Apsis, mit ihren Pfeilern, Kapellen,
Altären und Wölbungen! Aus schweren, wohlgeplätteten Quadern ist
dieses Münster um vieles Geld erbaut worden für die Mönche, die
sich hier angesiedelt. Da ist ferner das große Dormiterium mit seinen
sauberen Zellen, der herrliche Kreuzgang, der weite Kapitelsaal . . .
sowie auch die schöne Abtei und das Fremdenhaus mit seiner besonderen
Kirche, die noch älter denn das Kloster und dem hl. Nikolaus geweiht ist.
Auch die Bücherei mit ihren vielen uralten Werken, wer sollte nicht seine
Freude daran haben? Ferner dann selbst diese tiefe Einsamkeit, die dem, der
Gott dienen und den philosophischen Studien sich hingeben will so sehr zusagt
und die man so schön hier findet, wo das Kloster weit und breit von
waldigen Höhen umgeben ist, derweilen im Talesgrund der See seine tiefen
Fluten breitet und zur Sommerzeit des Menschen Auge so freundlich erquickt: Wen
sollte solch ein Anblick nicht zum Verweilen einladen? Ich habe das Kloster
Limburg gesehen und darinnen gewohnt, desgleichen das Kloster Walzach;
außerdem sah ich Hirschau, Gottesau, Seligenstadt, Amorbach, Sponheim,
Eberbach und Johannisberg, sowie die Klöster zu Köln, Trier, Mainz,
Nürnberg, Prag, Bamberg und viele andere, die man als schön
rühmt. Viele herrliche Klöster, sage ich, habe ich gesehen; aber
nirgendwo fand ich eins, das diesem Kloster zu Laach an wundersamer
Bauschönheit ähnlich wäre. Wohl mag es reichere Klöster
geben; aber ein prächtigeres und festeres, reizender und friedlicher
gelegenes Kloster gibt es nimmermehr."
In seinen Studien und wissenschaftlichen Bestrebungen war Johannes
Butzbach ein Freund des gerade damals in Deutschland aufkommenden Humanismus.
Der deutsche Humanismus hatte im Gegensatz zu dem italienischen von vornherein
eine gelehrte Färbung mit stark pädagogischem Einschlag und wurde
demzufolge zuerst an gelehrten Schulen und Universitäten heimisch.
Besonders im Westen Deutschlands bildeten sich früh humanistische
Mittelpunkte, so in Heidelberg, Worms, Straßburg; in Deventer,
Münster i.W., Emmerich a. Rh., die auf ihre Umgebung starke Einflüsse
ausübten. Die ersten humanistischen Anregungen hatte Johannes Butzbach von
dem Rektor der Deventerer Schule, Meister Alexander Hegius, erhalten, den er
selbst rühmt als äußerst gelehrten Mann, dreier Sprachen kundig
auch des Griechischen, als einer der ersten damals in Deutschland! -
Philosoph und Dichter. "Ja, das war ein Mann, gar alles Lobes würdig, wie
er denn auch im Leben und im Tode von den gelehrten Männern
verdientermaßen gepriesen worden ist. Wie eine glänzende Leuchte
strahlte er durch seine Rechtschaffenheit unter dem Volke, durch sein
umfassendes Wissen und seine große Begabung unter dem Chor der gelehrten
Leute vor allen hervor. Sein vormaliger Schüler, der gelehrte Desiderius
Erasmus, tut des großen Lehrers in seinen Sprichwörtern ehrende
Erwähnung. Seine glänzende Begabung rühmen der gelehrte Rudolf
Agricola sowie Johann von Dalberg, der hochgebildete Bischof von Worms."
Wichtiger und maßgebend für seine wissenschaftliche
Richtung war für Butzbach dann die Kenntnis der Schriften des Humanisten
Johannes Trithemius, des berühmten Abtes des Klosters Sponheim bei
Kreuznach, "wo alles, nicht bloß Abt und Mönche, sondern selbst
Hunde und Steine griechisch seien". Johannes erzählt selbst von der
Wirkung, die er empfunden, als er die erste Schrift von Trithemius gelesen: Er
habe das Buch förmlich verschlungen; weder Tag noch Nacht habe ihm der
Verfasser mit seinem Erde und Himmel umspannenden Wissen und seiner
glänzenden Darstellung Ruhe gelassen. Er fühlte sich dem gelehrten
Manne geistesverwandt, und darum eiferte er ihm auch in seinen eigenen
schriftstellerischen Arbeiten nach. Aus Lobeserhebungen über den verehrten
Meister und Auszügen aus dessen Schriften stellte er ein großes Werk
zusammen, das 16 Bücher umfaßt, der Verherrlichung dient ferner das
poetische Microstioma, der Verteidigung der Schutzschild gegen Angriffe, die
Jakob Wimpheling unternommen hatte. Darob ward der Verfasser in den bekannten
Dunkelmännerbriefen spöttisch mitgenommen.
Ueberhaupt sind die schriftstellerischen Leistungen, wodurch
Butzbach in jener geistig angeregten Zeit bemerkenswert hervorragte, teils
poetische Erzeugnisse, teils Prosaschriften. In seinen lateinischen Gedichten,
deren Stil und Formvollendung er den Klassikern, besonders Horaz, Vergil, Ovid
abgelernt hat, besingt er mit Vorliebe religiöse Themen, Wahrheiten und
Ideale des Christentums: Gott, Die allersel. Jungfrau, Die Heiligen, Die
Schönheit der hl. Schrift, Die Vollkommenheit des Klosterlebens u.a. Warm
empfunden zeugen sie von der Sprachbegabung und dichterischen Gestaltungskraft
des Verfassers, der es versteht, für die religiöse Lyrik neue,
packende Motive zu formen.
Allgemein kulturgeschichtlichen Wert haben seine Profanschriften,
von denen wir nur die wichtigeren nennen können. In den Fußstapfen
des Trithemius wandelt er, wenn er Bücher über die berühmten
Maler, über gelehrte und ausgezeichnete Frauen schreibt, nicht bloß
in der Wahl des Stoffes, auch in der Methode seinem Vorbilde sich
anschließend. In dieser Schrift wird auch eine Gertrud von Coblenz
gerühmt, Novizenmeisterin in dem Augustinerinnenkloster (Schönstatt)
in Vallendar. Die Beschreibung seiner Jugend mit ihrer Frische und
Treuherzigkeit ist ein Stück Kulturleben jener Zeit. Dieses köstliche
Büchlein verdient in weiten Kreisen gerade unseres rheinischen Volkes
bekannt zu werden. Sein Auctarium endlich stellt sich als eine
ausdrückliche Ergänzung zu den Lebensbeschreibungen bedeutender
kirchlicher Schriftsteller des Trithemius dar und enthält nicht weniger
als 1155 Biographien, darunter schätzenswerte Mitteilungen über
bekannte und unbekannte Zeitgenossen, im ganzen eine wichtige Quelle für
die allgemeine Geschichte der ersten Dezennien des 16. Jahrhunderts und
insonderheit des deutschen Humanismus. Sehr dankenswert sind, um nur einiges
hieraus zu erwähnen, seine Bemerkungen über die zum Deventerer und
Münster'schen Humanistenkreis gehörenden Persönlichkeiten.
In der stillen, schönen Einsamkeit des Laacher Sees brachte
Butzbach sein der Regel und den Studien gewidmetes Leben hin, ein Gelehrter und
Humanist, der nicht bloß für sein Kloster und ein örtliches
Gebiet, sondern darüber hinaus Bedeutung erlangt hatte. Alt ist er nicht
geworben; seine Kräfte waren durch die Entbehrungen seiner Jugend und
seine rastlose Tätigkeit früh verzehrt. Er starb, 48 Jahre alt, im
Jahre 1526.
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