Eine verschwundene Industrie
des Mosellandes
Das Alfer Eisenwerk - Ferdinand Remy
Von Dr. Rink, Bergisch-Gladbach
Gar eng und drückend sind vielfach die Seitentäler der
Mosel. Folgt man dem Moselstrande bei Alf etwa 2 km dem nach Bertrich gehenden
Tale, so erweitert sich dieses bei Fabrik-Alf ganz bedeutend und geht jetzt in
ein größeres und lichteres Tal über, um sich dann bis Bad
Bertrich sich wieder so ziemlich zu schließen. Dieser erwähnte Punkt
ist von so eigentümlicher Schönheit, daß es sich verlohnt,
etwas dabei zu verweilen.
Wählt man in der Nähe des Alfer Forsthauses einen
erhöhten Standpunkt, so kann man das Tal am besten übersehen. Vor uns
liegen mehrere Häusergruppen, ein Kloster, die katholische und
evangelische Kapelle und die heutige Spinnerei in dem Winkel, den Ueß und
Alf durch ihren Zusammenschluß bilden. Hier lag das ehemalige Alfer
Eisenwerk, das sogenannte "Alte Werk" von der Alf getrieben. Die Ueß
trieb daß etwas oberhalb gelegene "Neue Werk", beide Hütten lagen
wie heute noch die an denselben Stellen errichteten Betriebe dicht am
Fuße eines mächtig aufsteigenden Bergkegels, der Eselkopf
heißt und mit dem der Kandelwald ins Tal vorstößt. Links
schaut drohend die uralte Feste "Burg Harras" von steiler Höhe; ein
scharfer Bergrücken, der Sternkopf verbindet sie mit dem höher
gelegenen Sternenwald. Gegenüber auf der anderen Talseite erhebt sich der
hohe Sollig, mit seiner nach dem nahen Alf dahin ziehenden Weinbergswand. Das
ganze vor uns liegende Gebirgsbild würde einen ernsten Eindruck machen,
wenn nicht mehrere Talarme hier zusammenträfen, und dem Auge so einen
Fernblick in die wundersame Gebirgswelt gestatteten. Gerade dadurch wird die
Beleuchtung in dieser großen Talmulde oft von kaum zu beschreibender
Schönheit der sich vom grellen, neben tiefen Schatten leuchtenden
Sonnenschein bis zum feinen Violettblau abgestuften Töne.
Das frühere Hüttenwerk, das vor mehr denn 40 Jahren
anderen Betrieben wich, hatte eine ruhmvolle Vergangenheit und war eine der
ersten Hütten in ganz Deutschland, die nach dem, dann als führenden
englischen System, Puddel- und Walzenbetrieb errichtet wurden. Nur zwei Werke
derselben Gattung waren im Westen Deutschlands etwas älteren Datums als
das Alfer Eisenwerk, nämlich Lendersdorf bei Dürren und der
ungefähr gleichzeitig entstandene Rasselstein bei Neuwied, letztere
Hütte wurde ebenfalls erbaut von dem Gründer des Alfer Eisenwerkes,
Ferdinand Remy
Dieser hochbegabte und mit seltenen Eigenschaften des Geistes und
Charakters ausgerüstete Mann von industriellem Genie hatte in England die
neue Art der Eisenverhütung, das sogenannte Puddelverfahren, eingehend
studiert und sich in jahrelanger und praktischer Arbeit als Hüttenarbeiter
und Meister daselbst angeeignet. Bei uns in Deutschland steckte vor 100 Jahren
das Hüttenwesen noch in den Kinderschuhen. Die Dampfmaschine hielt man
für ungeeignet zum Walzwerkbetrieb. Infolgedessen suchte Ferdinand Remy
nach einer starken und reichlichen Wasserkraft, um das neue englische,
zweckdienliche Verfahren seiner rheinischen Heimat, die die althergebrachte
Zubereitungsweise mit Frischfeuer und Reckhammer nur kannte und ausgeübte,
zu vermitteln.
Viel wanderte er umher im Westerwald und Eifel, um eine geeignete
Stelle zu finden. Gerade die Eifel mit ihren zahlreichen und ziemlich
wasserreichen nach der Mosel gehenden Zuflüssen erregte seine besondere
Aufmerksamkeit, er entschied sich schließlich für den Punkt wo Alf
und Ueß sich treffen. Diese Stelle erschien ihm als die beste und am
geeignetsten zur Ausnutzung der Wasserkraft beider Bäche. Hier erbaute
eher im Jahre 1825 sein Werk. Am 5. Juni 1827 steckte er den ersten Puddelofen
(englisch; pudling furnace ) an, wonach bald der Walz- und
Schweißofenbetrieb eröffnet wurde. Zunächst beschäftigte
Ferdinand Remy nur englische Facharbeiter in dem eröffneten Betrieb, da er
seine Moselaner erst heranbilden mußte: zwei Orte, Alf und Bengel,
lieferten ihm bald einen vorzüglichen Arbeiterstamm. Dieselben beiden Orte
haben auch bei den nachfolgenden Betrieben bis heute das meiste Kontingent der
Arbeiter gestellt. Die Produkte des Alfer Eisenwerkes, erzeugt aus den Roheisen
des vortrefflichen Bendorfer Sphärosideritz und dem roten Eisenstein der
Lahn, bei Holzkohle erblassen, gewannen vor 100 Jahren rasch Boden,
verdrängten durch ihren billigen Preis bei gleicher Güte daß
gehämmerte Eisen, und erlangte bald einen vorzüglichen Ruf. Die
Waffen- und Messerschmiede des Bergischen Landes, die preußischen
Gewehrfabriken, Nagelschmiede, Stellmacher und alle, die vorzügliches
Material verarbeiteten, nahmen das Alfer Eisen, das jahrzehntelang führend
in Deutschland blieb, bis endlich die Konkurrenz der in den Kohlengebieten wie
Pilze aus der Erde schießenden Hüttenwerke das Alfer Werk
überflügelten und erdrücken mußte. Dieser Massenproduktion
von Eisen in den Kohlerevieren stellte Ferdinand Remy den Grundsatz
gegenüber, in seinen Werken stets und gewissenhaft nur das Beste zu
liefern es ist außerordentlich interessant hier mitzuteilen, daß
die Schienen der ersten deutschen mit Dampf betriebenen Eisenbahnen in Alfer
Eisenwerk hergestellt wurden, nämlich zu der Bahn
Düsseldorf-Elberfeld, deren Strecke Düsseldorf-Erkrath am 20.
Dezember 1838 eröffnet wurde. Die Bahn Nürnberg-Fürth wurde zwar
schon im November 1835 dem Betrieb übergeben, aber zunächst als
Pferdebahn und mit entsprechend leichteren Schienen, die auf dem Werk
Rasselstein gewalzt worden waren.
Ferdinand Remy hatte anfangs dem Plan, das Werk bei Reil an der
Mosel zu errichten und den Alfer Bach mittels Stollen durch den Reilerhals zu
leiten, wodurch sich bis Reil ein Gefälle von 30 m hätte gewinnen
lassen. Aber Mühlengerechtsame verhinderten die Ausführung und die
Zeitverhältnisse drängten zu raschem Entschluß. So entschied er
sich für Alf, wo er zwei Gebirgsbäche zur Verfügung hatte.
Trotzdem litt die Hütte oft an empfindlichen Wassermangel, namentlich weil
der Alfbach zu gewissen Zeiten im Wittlichertal zur Wiesenbewässerung
benutzt wird. Ferdinand Remy gedachte dieser Störung durch eine
eigentümliche Weise zu begegnen. Der Alfbach entspringt aus dem
Schalkenmehrener Maar bei Daun in der Eifel. Dicht neben diesem Maar, aber 56
1/2 Meter höher liegt das Weinfelder Maar. Er wollte diese beiden Maare
miteinander verbinden, um bei Wassermangel die Schleuse des höher
Gelegenen zu öffnen und das obere Maare zur Speisung des Unteren zu
benutzen. Es erwies sich jedoch als an Ort und Stelle, daß ein
Müller in der Gegend schon früher einen gleichen Versuch gemacht
hatte. Der Spiegel des Weinfelder Maares sank beim Ablassen bis zur
Grabensohle; der Ausfluß hörte auf und der Wasserstand erhöhte
sich nicht wieder. Dem Weinfelder Maare konnte somit kein Wasser entnommen
werden. Später wurde auf dem "Alten Werk" eine Dampfmaschine für die
Zeit des Wassermangels zur Aushilfe errichtet. Der Kamin derselben ist als
Kanal den steilen Eselskopf hinaufgezogen und endigt oben in einer kurzen
Senkrechten. Die dadurch erlangte Zughöhe beträgt senkrecht 56 m.
Der Begründer des Alfer Eisenwerkes, der nachmalige
Kommerzienrat Ferdinand Remy geb. 1788 zu Bendorf a. Rh., starb 1848 tief
betrauert von der ganzen Gegend, deren Aufblühen er
größtenteils begründet und deren öffentliche Interessen er
stets mit der ihm eigenen Hochherzigkeit und frischen Tatkraft gefördert
hat. Seine Verdienste um die ganze Alfer Gegend sichern ihm ein bleibendes und
ehrenvolles Andenken. Die sterblichen Reste des edlen Mannes
wurden in Alf zur letzten Ruhe gebettet; hier ruht er mit seinen
1871 und 1890 verstorbenen Nachfolgern und Mitarbeitern Eduard und Hermann
Remy. Ein Denkmal bezeichnet die Ruhestätte.
Wie erwähnt, erlag im Anfang der 80er-Jahre das Alfer
Eisenwerk dem übermächtigen Wettbewerb der Eisenindustrie des
Ruhrgebietes. 1885 wurde das ganze Besitztum der Firma Remy an den
Fabrikbesitzer Gustav Müller, Fulda, verkauft, der daselbst eine
Seilerwaren und Teppichfabrikation schuf, die 40 Jahre bestand und der
Bevölkerung Verdienst brachte. Heute betreibt das Werk die Viersener AG.
Ges. als Spinnerei und Weberei und stellt Flachsgarne her. Das ehemalige "Neue
Werk" am der Ueß wurde nach umfassenden baulichen Veränderungen
später in eine Filzfabrik umgeändert, die 1913 einem Brande zum Opfer
fiel. In den letzten Jahren war hier eine Flachsröhrenanstalt, die
augenblicklich nach dem Rückgang des Flachsanbaus zur Bedeutungslosigkeit
herabgesunken ist.
Die Bäche Ueß und Alf haben ganz verschiedenen
Charakter, obschon beide unter ähnlichen Verhältnissen entstehen.
Beide entspringen aus Maaren, die Alf in einer Höhe von 422, 5 m aus dem
Schalkenmehrener Maare, die Ueß 494,3 m hoch aus dem Mosbacher Weiher in
der Nähe von Kehlberg; bis zu ihrem Zusammenfluß in Fabrik-Alf
fällt die Alf 319, 5 m die Ueß 391, 3 m. Die Alf durchschneidet das
Gebiet des roten Sandsteins, findet durchweg wenig Bodenhindernisse und
durchzieht in friedlicher Ruhe das Wittlicher Tal; dagegen muß die
Ueß sich in unzähligen Windungen durch das Schiefergebirge arbeiten.
Ihr Wasser ist, während die Alf nach Regengüssen rot
dahinfließt, nur leicht Gefälle gefärbt und sonst von der
herrlichsten Klarheit und Frische. Das Tal der Ueß ist namentlich zu
Bertrich hin voll der wunderbarsten Partien und daher sein Besuch sehr zu
empfehlen. Nicht immer aber fließen Alf und Ueß so geruhsam und
friedlich dahin, sie kommen oft im Frühjahr oder nach Wolkenbrüchen
gleich wilden Strömen angestürmt, Brücken, Bäume und
Schutzmauern niederreißend.
Manchen harten Kampf hat das Alfer Eisenwerk bzw. die
nachfolgenden Betriebe besonders mit der wilden Ueß durchmachen
müssen.
Berichtigung aus Heft Nr. 52 zu: Das
Rasselsteiner Eisenwerk.
In dem Aufsatz "Eine verschwundene Industrie des Mosellandes: Das
Alfer Eisenwerk" von Doktor Rink in Nummer 37 des Jahrgangs 1929 des Koblenzer
Heimatblattes befinden sich nach Mitteilung der Rasselsteiner
Eisenwerksgesellschaft einige Ungenauigkeiten, die wir im folgenden gerne
berichtigen:
1. Das Rasselsteiner Eisenwerk ist eine Gräflich Wiedische
Gründung und Aktenmäßig im Jahre 1737 als Gräfliches
Hüttenwerk vom Grafen Friedrich Alexander zu Wied erbaut. Es wurde bereits
1766 - also 22 Jahre vor der Geburt des in dem Artikel erwähnten Ferdinand
Remy - durch Heinrich Wilhelm Remy, der einem anderen Zweige der Bendorfer
Familie Remy entstammte, von dem Grafen (sein Vater und Schwager) bereits 1784
von dem Grafen zu Wied käuflich erworben.
2. Der erste Puddelofen für Steinkohlen in Deutschland wurde
auf dem Rasselstein erbaut und 1824 in Betrieb genommen.
3. Die Eisenbahn Nürnberg-Fürth war anfangs nur für
Pferdebahn-Betrieb gebaut, wurde aber trotzdem 1835 als Dampfbahn
eröffnet. Die Schienen dieser ersten Deutschen Eisenbahn waren auf den
Rasselsteiner Werken hergestellt, wie dies ja auch in der Fachliteratur
unbestritten ist.
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