Wie viele Menschen ihrer Art hatte auch Charlotte Klein
einen "Traum" - eine Vision von der Zukunft der beiden Religionsgemeinschaften,
denen sie sich mit ihrer Existenz und ihrem Lebenswerk verbunden fühlte.
Für diese Vision suchte sie nach einem Bild - einem Gegenbild zur
mittelalterlichen Ecclesia militans, welche, geschmückt mit Krone und
Fahne, auf die mit verbundenen Augen vor ihr stehende Synagoga herabblickt. In
der christlichen Theologie zeichnen sich heute schon klar andere Vorstellungen
ab, für die aber in der Kunst eine Symbolsprache noch weithin
fehlt. |
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Charlotte Klein versucht, in einer ihrer Schriften einen
wesentlichen Zug dieser neuen Sicht mit einem Beispiel aus der bildenden Kunst
zu verdeutlichen. Die Anregung dazu mag ihr in Rom gekommen sein. Vielleicht
leuchteten ihr in der strengen Klarheit der altehrwürdigen,
frühchristlichen Kirche Santa Sabina auf dem Aventin die ersten Umrisse
einer zukünftigen Darstellungsmöglichkeit auf.
Sie spricht von dem bekannten Mosaik an der inneren Wand
der Eingangsseite. Dieses zeigt zwei große Frauengestalten. Beide
erscheinen gleich eindrucksvoll in ihrer Schönheit und achtunggebietenden
Haltung. Zwar weist die Schrift am un-teren Bildrand die eine als "ecclesia ex
circumsione", die andere als "ecclesia ex gentium" aus, also als Allegorien der
zwei urchristlichen Gruppen aus Juden und Heiden. Doch ist hinter diesen noch
eine weiter zurückreichende, sich auf die Herkunft beider beziehende
Vorstellung spürbar, wie das Alter der Frauen, ihre Attribute, aber auch
ihre Erscheinungsweise auf anderen Bildwerken der Zeit nahelegen. Die
jüngere Gestalt, die in ihrer Hand die Heilige Schrift der
Sinaioffenbarung trägt, weist danach auf das ganze jüdische Volk hin,
dessen Berufung in geschichtlicher Zeit erfolgte, im Gegensatz zur
älteren, die auf die Herkunft aus der Völkerwelt hindeutet.
Die eigene Würde des Judentums - ausgezeichnet mit
göttlicher Erwählung und beauftragt, den Menschen die Offenbarung des
Einen Gottes zu vermitteln - ist in dieser frühen Bildsprache noch sehr
deutlich.
So sah Charlotte Klein, anknüpfend an diese den
Anfängen der Christenheit nahen Vorstellungen, nun die beiden Religionen -
Judentum und Christentum - symbolisiert durch zwei an Schönheit und
Würde gleiche Frauen - Synagoga und Ecclesia - auf ihren zukünftigen
Wegen vor sich: Jede erkennt und anerkennt den Wert und die Bedeutung der
anderen; beide empfinden Achtung füreinander, doch respektieren sie ihre
Verschiedenheit und die jeweils eigene Berufung. Nur so wird auch ein
Gespräch zwischen ihnen möglich und ein gemeinsames Wirken zum Wohl
unserer heutigen Welt mit ihren vielfältigen, immer bedrängender
werdenden Aufgaben. Daß bis dahin noch ein weiter, steiler und steiniger
Weg zurückzulegen ist, wußte niemand besser als Charlotte Klein
selbst.
Heimgard Roos, Lehrerin a.D., Mitglied des
Kuratoriums für das Museum Viernheim, Frankfurt |