Manifest der demokratischen
Sozialisten des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald.
Für Freiheit, Frieden, Sozialismus.
Im Augenblick ihrer Befreiung aus der bestialischen Gefangenschaft
der nazistischen Diktatur empfinden es die in ehemaligen Konzentrationslager
Buchenwald versammelten Vertreter des demokratischen Sozialismus aus Berlin,
Brandenburg, Mitteldeutschland, Sachsen, Thüringen, Anhalt, Hannover,
Braunschweig, Westfalen, Rheinland, Saarland, Bayern und Österreich als
ihre Pflicht, in Anwesenheit der legitimierten Vertreter und Beauftragten der
französischen, belgischen, niederländischen, tschechischen und
polnischen Sozialisten sowie der deutschen Sozialdemokratischen Arbeiter-Partei
in der Tschechoslowakischen Republik folgendes zu erklären:
Wir haben Gefängnis, Zuchthaus und Konzentrationslager
ertragen, weil wir glaubten, auch unter der Diktatur für die Gedanken und
Ziele des Sozialismus und für die Erhaltung des Friedens arbeiten, zu
müssen. Im Zuchthaus und Konzentrationslager setzten wir trotz
täglicher Bedrohung mit einem elenden Tode unsere konspirative
Tätigkeit fort. Durch diesen Kampf ist es uns vergönnt gewesen,
menschliche, moralische und geistige Erfahrungen zu sammeln, wie sie in
normalen Lebensformen unmöglich sind. Vor dem Schattengesicht der
Blutzeugen unserer Weltanschauung, die durch die hitleristischen Henker
gestorben sind, wie auch in der besonderen Verantwortung für die Zukunft
unserer Kinder halten wir uns deshalb für berechtigt und verpflichtet, dem
deutschen Volke zu sagen, welche Maßnahmen notwendig sind, um Deutschland
aus diesem geschichtlich beispiellosen Zusammenbruch zu retten und ihm wieder
Achtung und Vertrauen im Rate der Nationen zu verschaffen.
1. Vernichtung des
Faschismus. Solange Faschismus und Militarismus in Deutschland
nicht restlos vernichtet sind, wird es keine Ruhe und keinen Frieden bei uns
und in der Welt geben. Unsere ersten Anstrengungen müssen darauf gerichtet
sein, alle gesellschaftlichen Erscheinungen dieser blutigen Unterdrückung
des Lebens für immer zu beseitigen.
Die NSDAP mit allen Gliederungen und angeschlossenen
Verbänden ist zu verbieten und aufzulösen, ihr Vermögen zu
Gunsten der Opfer ihres Terrors einzuziehen, ihren Mitgliedern sind die
politischen Rechte zu entziehen. Alle begangenen Verbrechen sind durch
Voksgerichte schnell, streng und gerecht zu bestrafen und die Verurteilten
einem Strafvollzug nach ihren eigenen Anschauungen zu unterwerfen. Alle zu
Unrecht erworbenen Vermögen der Nutznießer des Regimes sind zu
enteignen. Nationalsozialistische Aufstandsversuche sind rücksichtlos
niederzukämpfen.
Darüber hinaus sind alle faschistischen und militaristischen
Organisationen dem gleichen Verfahren zu unterwerfen.
Ebenso ist die hitleristische Wehrmacht mit allen ihren
Institutionen aufzulösen. Den Bedürfnissen der öffentlichen
Sicherheit kann durch eine Miliz genügt werden.
Alle Beamte, die als Träger der Diktatur tätig gewesen
sind müssen unverzüglich den öffentlichen Dienst verlassen.
Kriegsverbrecher und Kriegsverlängerer sind nach den Geboten
des internationalen Rechts vom deutschen Gerichten zu bestrafen.
2. Aufbau der Volksrepublik
Diese riesenhafte Arbeit kann nur geleistet werden, wenn sich
alle antifaschistischen Kräfte zu einem, unverbrüchlichen
Bündnis zusammenschließen. Zu diesem Zwecke erstreben wir einen
neuen Typ der Demokratie, die sich nicht in einem leeren, formelhaften
Parlamentarismus erschöpft, sondern den breiten Massen in Stadt und Land
eine effektive Betätigung in Politik und Verwaltung ermöglicht.
Zuerst sind in allen Orten antifaschistische Volksausschüsse
zu bilden, die sobald als möglich durch Heranziehung antifaschistischer
Organisationen auf eine urdemokratische Grundlage zu stellen sind.
Aus diesen Volksausschüssen ist für das ganze Reich ein
Deutscher Volkskongreß zu berufen, der eine Volksregierung einzusetzen
und eine Volksvertretung zu wählen hat.
Die bürgerlichen Freiheiten der Person, des Glaubens, des
Denkens, der Rede und Schrift, der Freizügigkeiten, des Koalitionsrechtes,
sind sofort wieder herzustellen.
Die Volksausschüsse haben Gemeinderäte, diese durch
Delegierte Kreis- und Landesräte zu wählen, Die
Behördenvorstände in Stadt und Land sind neu zu bestellen,
Staatskommissare haben die Kontrolle der übrigen Verwaltung zu
übernehmen. Das Reich ist unter Beseitigung des ganzen bisherigen
Regierungsapparates, der Länder nach wirtschaftlichen und sozialen
Gesichtspunkten neu zu gliedern, die Verwaltung zusammen zu fassen, zu
vereinfachen und zu verbilligen.
Das priviligierte Berufsbeamtentum ist abzuschaffen und durch ein
hochqualifiziertes sauberes, sozial modernes Volksbeamtentum zu
ersetzen.
3. Befreiung der Arbeit Aufbau
und Führung der Volksrepublik sind nur möglich, wenn die Massen der
Werktätigen in Stadt und Land in ihr ihren Staat sehen, ihn bejahen und
immer bereit sind, für diesen Staat einzustehen. Sie werden das nur tun,
wenn die, Volksrepublik die Arbeit aus der unerhörten Ausbeutung und
Entrechtung, die die Kapitalistenknechte der NSDAP über sie verhängt
haben, befreit und ein menschenwürdiges Dasein aller Arbeitenden schafft
und garantiert. Deshalb sind die Sozialpolitik und die Sozialversicherung den
Bedürfnissen der Arbeiterschaft entsprechend zu gestalten.
Der Achtstundentag ist sofort wieder einzuführen und eine
weitere Verkürzung der Arbeitszeit vorzubereiten. Das Diktat der
angeblichen "Treuhänder der Arbeit" ist abzuschaffen, die freie
tarifvertragliche Regelung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse wieder
herzustellen.
Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten und die
Arbeitsgerichtsbarkeit haben Gesetz und Recht im Arbeitsleben zu
gewährleisten.
Die DAF ist in eine einheitliche Gewerkschaft zu
überführen. Die vom Staate unabhängige Gewerkschaftsorganisation
soll die Selbstverwaltung und die Selbstverantwortung der Arbeiter,
Angestellten und Beamten für ihre sozialen Geschicke erneuern und
stärken, um ihren ganzen Einfluß im Gesamtprozeß der
Sozialisierung voll zur Geltung zubringen.
4. Sozialisierung der Wirtschaft
Überzeugt, daß die letzte Ursache zu diesem
ungeheuerlichsten aller Kriege in der Raubtiernatur der kapitalistischen
Wirtschaft, des finanzkapitalistischen Imperialismus, und der von beiden
erzeugten moralischen und politischen Verwahrlosung des Lumpenproletariats und
Kleinbürgertums liegt, fordern wir, daß den Gesellschaftskrisen
durch eine sozialistische Wirtschaft ein absolutes Ende gesetzt wird.
Deutschland kann ökonomisch nur auf sozialistischer Grundlage wieder
aufgebaut werden. Ein Aufbau unserer zerstörten Städte, als
kapitalistisches Privatgeschäft ist ebenso unmöglich wie ein
Wiederaufbau der Industrie aus den Taschen der Steuerzahler.
Wir erklären feierlich, daß niemand von uns an eine
Enteignung des bäuerlichen Besitzes denkt. Er soll im Gegenteil garantiert
und vermehrt, zur Höchstleistung geführt, von allen Schranken der
Reichsnährstandspolitik befreit, genossenschaftlich gefordert werden und
einer freien Selbstverwaltung überlassen bleiben. Der
Großgrundbesitz ist einzuziehen und gemeinwirtschaftlich zu verwenden.
Eine neue Währung, ein von den Lasten der Diktatur
bereinigter öffentlicher Haushalt und eine Sozialisierung der Banken und
Versicherungsanstalten unter Führung der öffentlichen Bankanstalten
sollen die Grundlagen einer gesunden Wirtschaftspolitik schaffen.
Staatsmonopole für Massenverbrauchsgüter sollen
fiskalisch und preisregulierend wirken.
Bergwerke, die gesamte Energieerzeugung, die Schwerindustrie und
das Verkehrswesen sind zu sozialisieren.
Zur Befriedigung des dringenden Massenbedarfs sind alle
Verbrauchsgüterindustrien staatlich zu lenken. Der Wiederaufbau der
Städte und die Wohnungsbeschaffung sind nach demselben Gesichtspunkt zu
regeln. Ein Planwirtschaftsamt hat den sozialistischen Wiederaufbau zu leiten.
5. Friede und Recht Wir wissen,
daß unsere innere Lage furchtbar ist. Unsere äußere Lage ist
jedoch fast verzweifelt. Aber wir verzagen nicht!
Wir bekennen uns vor der Welt aus tiefster, ehrlichster
Überzeugung zu der schuldrechtlichen Verpflichtung der Wiedergutmachung,
der Schäden, die das deutsche Volk durch den Hitlerismus angerichtet hat.
So entschieden wir Kontributionen und Vasallendienste ablehnen, so aufrichtig
wollen wir dazu beitragen, daß durch Abtragung einer festbestimmten
Wiedergutmachungsschuld eine neue Atmosphäre des Vertrauens an Deutschland
geschaffen wird. Die deutsche Jugend wird verstehen, daß es
vernünftiger ist, für den Frieden Opfer zu bringen, als im Kriege bei
noch größeren, sinnlosen Opfern das Leben zu verlieren.
Wir wollen nie wieder Krieg. Wir werden alles tun, um einen neuen
Krieg unmöglich zu machen.
Wir wünschen, baldigst in die Weltorganisation des Friedens
und der Sicherheit aufgenommen zu werden und besonders als Richter und Partei
in der internationalen Gerichtsbarkeit einen Beitrag zu leisten, der von
anderen Völkern als wertvoll anerkannt werden soll.
Auch in der verzweifelsten Lage werden wir deshalb nicht auf eine
eigene sozialistische Außenpolitik verzichten. Die deutsche
Außenpolitik muß im engsten Einvernehmen mit der Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken geführt werden. Unser oberstes Ziel ist,
in Zusammenarbeit mit allen sozialistisch geführten Staaten zu einer
europäischen Staatengemeinschaft zu kommen, die unserem
schwergeprüften Kontinent durch eine europäische Gemeinwirtschaft
Ordnung und Wohlstand verbürgt.
Diese soll uns als Mittel dienen, Europas kulturelle Mission in
der Welt auf der gesellschaftlichen Stufe des Sozialismus zu erneuern. Die
erste Voraussetzung dafür sehen wir in der deutsch-französischen und
deutsch-polnischen Verständigung und Zusammenarbeit, die zweite im
Eintritt Deutschlands in den angelsächsischen Kulturkreis, so wollen wir
ein europäisches Gewamtbewußtsein schaffen, das allein den Frieden
der Völker tragen kann.
6. Neue Humanität Dazu
brauchen wir einen neuen Geist, Er soll verkörpert werden durch den neu-en
Typ des deutschen Europäers. Uns kann niemand umerziehen, wenn wir es
nicht in Freiheit selbst tun.
Neue Universitäten, aus den wertvollsten Kräften der
Emigration und der inlän-dischen sozialistischen Intelligenz gebildet,
sollen uns neue Lehrer schaffen.
Wenn alle nazistischen Sonderformen der Schule wie Ordensburgen,
Adolf-Hitler Schulen, nationalpolitische Erziehungsanstalten verschwunden sind
wollen wir mit neuen Lehrern Volks- und Berufsschulen, vor allem auf dem Lande,
auf- und ausbauen, das humanistische Gymnasium modernisieren, den Typ eines
deutschen Gymnasiums neu schaffen, Landes- und Hochschulen für Politik
errichten und die Erwachsenenbildung mit allen Kräften fördern.
Freie und angewandte Künste, Literatur, Theater und Musik
sollen in Freiheit aus einer Nacht tiefsten Grauens ins Land der Schönheit
führen.
7. Sozialistische Einheit. Zu all
diesem ist die Einheit der sozialistischen Bewegung unerläßlich.
Gegründet auf die Gedanken des Klassenkampfes und der
Internationalität und auf das Bewußtsein, daß die
Verwirklichung des Sozialismus nicht eine Frage des Zukunftstaates, sondern die
unmittelbare Gegenwartsaufgabe ist, wollen wir die Einheit der sozialistischen
Bewegung als eine Einheit des praktischen Handelns, der proletarischen Aktion
herstellen, Freiheit in der Diskussion und Disziplin in der Durchführung
der Beschlüsse werden es uns ermöglichen, alle ehrlichen
sozialistischen Kräfte zusammenzufassen.
Wir erwarten, daß die auf den Boden des Klassenkampfes
stehenden Parteien und Gewerkschaften nach den unerläßlichen
Vorbesprechungen alsbald einen Organisationsausschuß einsetzen und dieser
einen Gründungskongreß beruft, der Statuten und Aktionsprogramm
festzustellen und die neuen Parteiorgane zu wählen hat.
Zur Vollendung der Einheit des Weltproletariats fordern wir die
Aufrichtung einer alle sozialistischen Parteien umfassenden, arbeitenden und
kämpfenden internationalen politischen und gewerkschaftlichen
Organisation.
Es lebe das Bündnis aller antifaschistischen
Kräfte Deutschlands!
Es lebe ein freies, friedliches, sozialistisches
Deutschland!
Es lebe der revolutionäre demokratische
Sozialismus!
Es lebe die Internationale der Sozialisten der
ganzen Welt!
Buchenwald, den 13.April 1945
Das Komitee der
demokratischen Sozialisten des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald.
Baumeister, Dortmund Branz, München
Dr. Brill, Berlin Kautsky, Wien Mantler, Wien Schilling.
Leipzig Thape, Magdeburg
Namentliches Verzeichnis der im K. L. Bu.
eingesessenen demokratischen Sozialisten Deutschlands und der
ausländischen Unterzeichner des Manifestes.
Ahrens, Hermann, Braunachweig |
Kampf, Paul, Wiltershausen |
Bauer, Dr., Bendorf/Rhein |
Kreus, Rudolf, Johann-Georgenstadt |
Barth, Fritx, Gera/Thür. |
Miltenberger, Josef, Saarbrücken |
Behr, Fritz, Weimar |
Petersdorff, Georg, Düsseldorf |
Bergmann, August, Wien |
Pollak, Fritz, Wien |
Blumentritt, Karl, Pilsen |
Pech, Vaclav, Pilsen |
Böhme, Curt, Jena |
Richter, Albert, Pössneck |
Braun, Ernst, Saarbrücken |
Richter, Rudolf, Leipzig |
Brünler, Leopold, Wien |
Schwabacher, Karl, Sollin |
Cmejrck, Josef Wien |
Soldmann, Fr, Schweinfurt |
Diriken, Pierre, Tongeren/Belgien |
Sonntag, Josef, Nürnberg |
Glass, Rudi, Braunschweig |
Sarnowitsch, H., Berlin |
Goldmann, Ed., Wien |
Treuerniet, Arie, Amsterdam |
Gelhardt, Anton, Bendorf/Rhein |
Uckermann, Werner, Magdeburg |
Gelhardt, Anton II, Bendorf/Rhein |
Walter, Armin, Riesa |
Hecht Richard, Alfeld/Leine |
Wehner, Karl, Küstrin |
Hildebrand, Paul, Meiningen |
Windschuh, Hermann, Zerbst |
Jungmann, Rudolf, Gera/Thür. |
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