Graf Heinrich IV. von Sayn

*1539 - † 1606
Graf zu Sayn und Herr zu Homburgk, Moncklar und Mentzburg

Excurs - Das mittelalterliche Lehnswesen

Von Dieter Kittlauß



Zur Einführung in das Thema ist eine Abbildung aus dem "Sachsenspiegel" gewählt.

Der Sachsenspiegel ist die älteste deutschsprachige Aufzeichnung des Gewohnheitsrechts. Den Ratsuchenden sollte ein Spiegel der Rechtspraxis an die Hand gegeben werden. Eike von Repgow fertigte diese Niederschrift im Auftrage des Grafen Hoyer von Falkenstein (1211-1250)

Eine Seite aus dem Sachsenspiegel

Das nebenstehende Bild stellt Szenen aus dem Lehnswesen dar.

Im Feld links oben sind als Gruppe vier Personen zu sehen: ein niederer Geistlicher (Mönch mit Tonsur und einfachem Gewand), eine Frau (langes Kleid), zwei weitere Personen. Sie stehen dem Lehnsherr (Krone und langes Gewand) bittend gegenüber. Der ist jedoch abweisend (Handbewegung).Leute mit niederem Rang oder aus bestimmten Berufen wie Mönche, Bauern und Frauen waren nicht lehnsfähig.

Im Feld rechts oben sitzt der Lehnsherr in einer Art Sessel, der reichlich verziert ist. Die einfache Kleidung, die die Person, die das Lehen empfängt, lässt vermuten, dass es sich hier um einfachen Freien handelt. Jedenfalls bekommt dieser sein Lehn, denn Lehnsherr und Vasall vollziehen den Handschlag, d.h., der Vasall legt seine Hände in die des Lehnsherrn und der Lehnsherr umschließt die Hände des Vasallen. Damit wird die Vergabe des Lehens besiegelt: Der Lehnsherr gibt dem Lehnsmann Schutz und sichert seine wirtschaftliche Basis. Der Lehnsmann steht dem Lehnsherrn im Gefahrenfall bei oder leistet ihm bestimmte vereinbarte Dienste Der Handschlag bindet beide an einen Vertrag und verpflichtet beide Vertragspartner zur gegenseitigen Treue. Außerdem ist noch eine dritte Person zu sehen, sie befindet sich hinter dem Vasallen, ganz am Rand des Feldes. Ihre Funktion ist nicht ersichtlich. Da sie aber sehr klein gezeichnet ist, ist sie wahrscheinlich Zeuge für den Vertrag.

Auch im Feld links unten sind der Lehnsherr und ein Bauer zu sehen. Der Bauer streckt dem Lehnsherrn die Hände entgegen, er bittet also um ein Lehn, der Lehnsherr wendet sich aber ab und verweigert dem Bauern somit das Lehn.

Im Feld rechts unten befinden sich vier Personen, die zwei Parteien zu je zwei Personen bilden. Die zwei Parteien stehen sich gegenüber. Auch der Lehnsherr, kenntlich durch Gewand und Krone, ist dabei. Er zeigt auf die beiden anderen Personen, deren Kleidung auf einfache Herkunft schließen lässt. Die Person, die neben dem Lehnsherr steht, sie trägt ein rotes Gewand, hält die Hände der beiden Bauern fest. Vielleicht ist diese Person ein Helfer des Lehnsherren, möglicherweise ein Verwalter auf einem der Herrenhöfe, falls der Lehnsherr mehrere besaß. Jedenfalls heben die Vasallen die Hände so, als würden sie etwas schwören. Wahrscheinlich bekommen auch sie ein Lehn und schwören ihrem Herrn die Treue.

Hier ein Beispiel für einen Treueeid;

"Deine Feinde sind meine Feinde, deine Freunde sind meine Freunde. Ich will dir allzeit treu und gegenwärtig sein, wenn du mich brauchst."

Generell fällt bei diesem Bild auf, dass die Hände überdimensional groß sind. Dadurch sollen wohl die rechtsverbindliche Bedeutung der Gesten besonders betont werden.

Einige Erläuterungen zu geschichtlichen Entwicklungen

Nach allem was wir heute über das mittelalterliche Lehnswesen wissen, können wir sagen, daß die Ursprünge des Lehnswesens und der Vasallität im fränkischen Reich zur Zeit der Merowinger entstanden ist. Aber schon der römische Geschichtsschreiber Tacitus hatte uns in seiner Schrift "Germania" eine Beschreibung germanischer "Gefolgschaften" gegeben.

Die Gefolgschaft ist eine moderne Bezeichnung für den lateinischen Begriff: "comitatus" (=Begleiter), mit der diese Form des freiwilligen Zusammenschlusses einer Gruppe von germanischen Kriegern, die mit und für einen Herrn kämpften, der die Beute mit ihnen teilte und auch im Frieden mit ihnen zusammenlebte, versucht zu beschreiben. Nach Tacitus mehrte ihre Zahl das Ansehen des Herrn, wie auch dessen Ruhm das Ansehen seiner Gefolgsleute hob. So bildete die Gefolgschaft eine militärische und soziale Elite innerhalb der Schicht der freien Germanen. Da sie untereinander in strikter Friedens- und Hilfepflicht verbunden waren, spielten diese Gefolgschaften, innerhalb der einzelnen germanischen Stämme, eine führende Rolle. Die Überfälle und schließlich die Eroberung der römischen Provinzen links des Rheins, zum Zwecke des Beutemachens, dürfte in der Hauptsache durch solche Gruppierungen erfolgt sein. Die Gefolgschaften bildeten warscheinlich auch die Basis beim Aufbau der Herrschaft der Merowingerdynastie. Diese Krieger-Bünde, "Blutsbrüder" des Königs, waren eine Form der Gefolgschaft, die von dem moderneren Lehnswesen und der Vasallität abgelöst wurden. Insbesondere setzte sich diese moderne Form des Lehnsrechts zur Zeit der Herrschaft der Karolinger durch.

Das Lehnsrecht kommt aus dem fränkischen Königtum.

Mit der Eroberung der römischen Provinzen in Gallien und in Germanien fiel der eroberte römische Fiskal-Besitz an den König. Dazu gehörten die riesigen Domänen des römischen Staates. Nur das Land, daß von der gallisch-römischen Bevölkerung stammte und entweder verlassen war oder sonstwie von den nachrückenden Germanen erworben wurde war "Frei". Der König bekommt das ehemalige römische "Staats"-Land aufgrund seiner Aufgabe, verleiht aber auch als Lehnsherr Land an Andere. Bei der Weitergabe von Land, also "Eigentum" des Königs an die, welche ihm in irgendeiner Form halfen, seine Herrschaft zu festigen, waren naturgemäß die Anführer der Gefolgschaften, die in der Regel aus mächtigen Adelsfamilien stammten und später die Schicht der Fürsten und Herzöge stellten; die Bischöfe und Äbte der Kirche (Reichskirche) und seine hohen Beamten der Staatsverwaltung, sowie seine Begleiter und Ratgeber (=comitis= später Grafen genannt) wegen der "Königsnähe" im Vorteil. Der Kreis derer, die vom König Land für Ihre Dienste erhielten, war relativ klein und beschränkte sich in der Regel auf adelige Personen.

Bei den germanischen Stämmen war die Geldwirtschaft nicht bekannt. Man tauschte mit Naturalien, also Getreide, Mehl, Käse, Vieh oder half sich gegenseitig. Dies bezog sich auch auf die Entlohnung von Diensten. Mit dem Anwachsen der Herrschaftsbereiche war eine Bezahlung durch freies Essen, Trinken, Kleiden und Wohnen nicht mehr möglich. Also wurde mit Land entlohnt. Das Land wurde aber nicht als Eigentum überschrieben, sondern als Lehen geliehen. Dies praktizierten die Könige wie auch die begüterten und mächtigen Adligen. Das lateinische Wort für Lehn ist "beneficium" oder "feudum"; daher kommt der Ausdruck Feudalismus für die Lehnsordnung. Im Unterschied zum Lehen bedeutet "Allodialbesitz" Eigentumsrecht im heutigen Sinne.

Die wirtschaftliche Basis war für den König über den Eigenbesitz (Königsgut) gewährleistet. Je mehr von dem Königsgut an die Fürsten überging, desto stärker wurde deren Rechtsposition. Die Fürsten erhalten Rechte, die eigentlich nur dem König zustanden: Gerichtshoheit, das Geleit-, Münz- und Zollrecht sowie das Recht, Städte und Burgen zu bauen. Am Ende des Mittelalters waren im Deutschen Reich die Landesherren weitgehend vom König unabhängig. Die Fürsten konnten ihr Land allerdings nicht allein regieren, sondern mussten ihre Landstände, nämlich Adel, Städte und Kirche, bei wichtigen Fragen, etwa bei der Erhebung einer Steuer, um Einwilligung bitten.

Der ursprüngliche Gedanke des Lehns war die Belohnung für Dienste und Treue. Allmählich drehte sich das Verhältnis um: Dienste wurden geleistet wegen des Lehns. Ein Lehen konnte schließlich auch ein Recht sein, etwa ein Richteramt, aus dem der Vasall Einkünfte über Gerichtsbußen bezog, oder das Recht, Münzen zu prägen, Zölle zu erheben, Erz- und Salzbergwerke zu nutzen. Bereits bei den Karolingern wurde es üblich, dass Lehn nach dem Tode des Lehnsmannes an dessen Erben weitergegeben werden musste. Auch wurde es immer beliebter, Lehn an Geistliche (nicht an Einzelpersonen, sondern an die Kirche als Institution zu vergeben, denn Bischöfe und Äbte entstammten meist adeligen, regierenden Herrscherfamilien), Die Kirche hatte keine "Erben", so dass das Lehn für das Reich nicht verloren war. So wie in der Zeit der Karolinger auch sogenannte "Leienäbte" den Klöstern vorgesetzt wurden, welche die wirtschaftliche Nutzung des Klosterbesitzes beanspruchten, war das den Klöstern als Lehen ausgegebene Land immer in Gefahr, durch den König wieder entzogen zu werden.