Dr. Hans Bauer
(1888-1947)
Schulleiter in Bendorf, 7 Jahre Gefangener im
Konzentrationslager Buchenwald
von Dietrich Schabow
Noch lange Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs trafen sich
regelmäßig in Bendorf auf dem Albrechtshof Wilhelm Thönnes und
Anton Wilhelm Gelhard (1886 - 1959), um ihrer Befreiung aus dem
Konzentrationslager Buchenwald zu gedenken. Die beiden Bendorfer waren dorthin
gebracht worden, der eine, weil er seine Tätigkeit für die SPD auch
nach deren Verbot 1933 fortgesetzt hatte, der andere weil er als Mitglied der
Zentrumspartei aus seiner politischen Überzeugung und seiner Ablehnung des
Nationalsozialismus aus religiösen Gründen keinen Hehl gemacht hatte.
Sie waren in Buchenwald Freunde geworden, ohne ihre unterschiedlichen
Standpunkte zu verleugnen. Als am 11. April 1945 Buchenwald befreit wurde,
waren unter den Entlassenen zwei weitere Bendorfer, Dr. Hans (Anm.: 1) Bauer
und Anton Gelhard (1899 - 1968).
Nachforschungen in verschiedenen Archiven ergaben eine Reihe von
Erkenntnissen, die es erlauben, von Dr. Bauer ein kurzes Lebensbild zu
zeichnen. Er wurde am 12. Mai 1888 in Lützelburg, einem kleinen Dorf im
nördlichen Elsass, als Sohn eines Gendarmerie-Wachtmeisters geboren. Die
Familie zog später ins südliche Elsass um. Hans Bauer machte sein
Abitur 1906 am Gymnasium in Mülhausen, studierte danach an der
Universität von Straßburg Mathematik und Physik und erwarb in diesen
Fächern die Lehrbefähigung für höhere Schulen. Während
einer Assistententätigkeit am Institut für experimentelle Psychologie
der Universität bereitete er sich auf die Promotion vor mit einer Arbeit,
die Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften verband, und zwar zur Optik
und zur Wahrnehmungslehre des arabischen Philosophen und Naturforschers Ali al
Hasan (965-1038) (Anm.: 2).
Nach dem Militärdienst (1910/11) folgten Referendarzeit und
Lehrtätigkeit an Gymnasien in Soest, Hamm/Westf. und Gütersloh bis
1914, sodann am Lyzeum und Oberlyzeum der Ev. Gemeinde Köln bis 1919-1915
wurde dem jungen Studienrat, obwohl die Schule 25 Lehrkräfte hatte, die
Vertretung des zum Militärdienst eingezogenen Direktors übertragen,
bis Hans Bauer selbst vorübergehend Schuldienst im Heer leistete. Neben
der Schularbeit in Köln studierte er an der dortigen Handelshochschule,
der späteren Universität, neuere Sprachen und Philosophie,
anschließend an der Universität Bonn Chemie, Mineralogie und
Geologie. Einen Abschluss konnte er in diesen Fächern nicht erringen, weil
ihm zum 1. Oktober 1919 die Leitung der Höheren
Bürgerschule in Bendorf, einer Schule mit realgymnasialen Klassen
von Sexta bis Obertertia (heute Klassen 5-9), übertragen wurde. (Anm.:
3)
In Köln hatte Bauer 1914 geheiratet, in Bendorf wurden seine
Töchter Edith (1920) und Gisela (1923) geboren. Seine Frau Elsa geb. Heidt
starb schon 1928. Die Bendorfer Schule sollte zu einem Gymnasium ausgebaut
werden, das zum Abitur führte. Aber die wirtschaftliche Lage zu Beginn der
dreißiger Jahre erlaubte dies nicht; zum 1. April 1932 wurde die Schule
sogar aufgelöst. Dr. Bauer erhielt wie die anderen Lehrkräfte ein
Pensionsgehalt, wohl aber mit der Aussicht, so bald wie möglich in einer
anderen Schule eingesetzt zu werden. Stattdessen wurde er auf Grund des sog.
"Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" im Oktober 1933 mit
gekürzter Versorgung aus dem öffentlichen Schuldienst entlassen. "Er
war nämlich vor der nationalen Erhebung Schrift- und Kassenführer des
Reichsbanners in Bendorf und hat als solcher der SPD nahe gestanden",
heißt es unverhohlen in einem amtlichen Dokument aus dem Jahre 1935.
(Anm.: 4) Das "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" war eine Vereinigung ehemaliger
Frontsoldaten vor allem aus der SPD, aber auch aus dem Zentrum und der
Deutschen Demokratischen Partei (DDP), die sich zum Ziel gesetzt hatten, die
Republik vor ihren Feinden zu schützen. Dr. Bauer, der zunächst in
der DDP mitgearbeitet hatte, trat 1933 der SPD bei, in dem Jahr in dem die
NSDAP an die Regierung kam.
Als eifriger Briefmarkensammler hatte er rege Briefkontakte, auch
zu seiner Heimat, dem Elsass. Mit dem Fahrrad unternahm er größere
Fahrten, u. a. in das noch unter der Verwaltung des Völkerbundes stehende
Saargebiet, und traf dort politische Emigranten, nachweislich den früheren
Bendorfer Gewerkschaftssekretär Ernst Rebber. Dieser war mit Anton Wilhelm
Gelhard befreundet und erwähnte Bauer in sehr ungeschickter Weise in
seinen Briefen. Die Ermittler erkannten leicht, wer mit der Abkürzung
"Br." gemeint war. Auch die anderen Verschlüsselungen wurden von den
Ermittlungsbehörden schnell aufgelöst; Anton Wilhelm Gelhard und
seine Frau sowie Anton Gelhard wurden verhaftet. Bei Hausdurchsuchungen fand
man sozialistische Flugblätter und Klebezettel. Rebber rechnete wohl, da
er seine für Bendorf bestimmten Briefe in der Pfalz aufgeben ließ,
nicht damit, dass diese kontrolliert wurden. Als bei Hans Bauer die Adresse
Rebbers gefunden wurde, half es ihm nicht mehr, dass er behauptete, er habe
seine im Elsass wohnenden Eltern besuchen wollen und dafür die Hilfe
Rebbers in Anspruch genommen, aber keine illegalen Verbindungen
angeknüpft. Dr. Bauer und die Gelhards wurden angeklagt und am 18.
Dezember 1935 wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" vom Oberlandesgericht Hamm,
der für solche Fälle eigens eingerichteten, auch für unsere
Gegend zuständigen Instanz, verurteilt, Anton Wilhelm Gelhard zu zwei
Jahren sechs Monaten Zuchthaus, seine Frau Anna zu sechs Monaten
Gefängnis, Dr. Bauer auch zu zwei Jahren sechs Monaten, Anton Gelhard zu
zwei Jahren vier Monaten Zuchthaus. (Anm.: 5) Gertrud Müller, die der
Familie Bauer im Haushalt geholfen hatte, versorgte nach dem Tode von Frau
Bauer auch die beiden Kinder. Nun nahm sie, die selbst eine Tochter hatte, die
beiden inzwischen 15 bzw. 12 Jahre alten Mädchen ganz zu sich. Sie
verdiente für sich, für ihr eigenes Kind und die Geschwister Bauer
den Lebensunterhalt mit Putzen und Waschen in Bendorfer Haushalten. Edith und
Gisela Bauer erhielten, weil ihrem Vater die Versorgungsbezüge gestrichen
wurden, "im Wege der öffentlichen Fürsorge und infolge nachgewiesener
Hilfsbedürftigkeit", wie es in einem amtlichen Dokument heißt, eine
monatliche Unterstützung von je 10 Reichsmark. Dr. Hans Bauer verbrachte
genau drei Jahre und vier Tage in Untersuchungsgefängnissen in Koblenz und
Hamm, sodann in den Zuchthäusern Rheinbach und Siegburg.
Am 9. Juni 1938 entlassen, wurde er zwei Tage später in sog.
"Schutzhaft" ins Polizeigefängnis Koblenz (Im Vogelsang, an der Stelle des
heutigen Landeshauptarchivs) eingeliefert und zwei Wochen später ins KZ
Buchenwald transportiert. Am 11. April 1945 - zwei Tage vor dem Eintreffen
amerikanischer Soldaten - erfolgte dann die organisierte Selbstbefreiung der
21.000 Häftlinge. Über das Schicksal der beiden Gelhards und Wilhelm
Thönnes' ist uns weniger bekannt. Thönnes kam 1944 nach Buchenwald.
In einer Akte heißt es, ein Anton Gelhard sei 1944 dorthin gebracht
worden, es ist aber anzunehmen, dass er schon vorher zumindest
vorübergehend dort war. Jedenfalls befanden sich bei der Befreiung alle
vier Bendorfer in Buchenwald.
Das berühmte "Manifest der
demokratischen Sozialisten des ehemaligen Konzentrationslagers
Buchenwald", zwei Tage nach der Befreiung veröffentlicht (Anm.:
6), trägt die Namen Dr. Bauer, Anton Wilhelm Gelhard und Anton Gelhard,
alle mit dem Zusatz "Bendorf/Rhein". In dem Manifest zeigen die Unterzeichner
auf, was ihnen Kraft zum Durchhalten und Motivation für einen Neuanfang
gab: "Wir haben Gefängnis, Zuchthaus und Konzentrationslager ertragen,
weil wir glaubten, auch unter der Diktatur für die Gedanken und Ziele des
Sozialismus und für die Erhaltung des Friedens arbeiten zu müssen. In
Zuchthaus und Konzentrationslager setzten wir trotz täglicher Bedrohung
mit einem elenden Tode unsere konspirative Tätigkeit fort. Durch diesen
Kampf ist es uns vergönnt gewesen, menschliche, moralische und geistige
Erfahrungen zu sammeln, wie sie in normalen Lebensformen unmöglich sind.
Vor dem Schattengesicht der Blutzeugen unserer Weltanschauung, die durch die
hitleristischen Henker gestorben sind, wie auch in besonderer Verantwortung
für die Zukunft unserer Kinder halten wir uns deshalb für berechtigt
und verpflichtet, dem deutschen Volke zu sagen, welche Maßnahmen wichtig
sind, um Deutschland aus diesem geschichtlich beispiellosen Zusammenbruch zu
retten und ihm wieder Achtung und Vertrauen im Rate der Nationen zu
verschaffen."
Nach der Entlassung aus der Haft kam Dr. Bauer nach Bendorf
zurück und bemühte sich um die Übernahme in den
öffentlichen Schuldienst. Diese wurde zum 1. September 1945 realisiert;
Dr. Hans Bauer wurde zum Leiter des Gymnasiums in Traben-Trarbach ernannt.
Seine Tochter Gisela Haußmann, die am 14. April 2004 in
Süddeutschland verstorben ist, hat ihren Vater nach seiner Heimkehr
öfters gebeten, ihr aus der KZ-Zeit zu erzählen. Er habe abgelehnt,
vielleicht werde er später einmal darüber berichten. Dazu konnte es
leider nicht mehr kommen. Bauer litt an den Folgen der Haft. Am 3. November
1947 fuhr er wie gewöhnlich mit dem Fahrrad zur Arbeit. Plötzlich
erlitt er einen Schwächeanfall und starb auf der Straße. Im Nachruf
des Lehrerkollegiums seiner Schule heißt es: "Herr Oberstudiendirektor
Dr. Hans Bauer war eine jener Persönlichkeiten, die - abhold großen
Gesten und Formen - in der Stille durch ihre menschliche Haltung und
idealistische Gesinnung vorbildlich und erzieherisch wirken. ... Er war ein
Mensch im besten Sinne, dessen Gemüt selbst die langen Jahre, die er
gemäß seiner charaktervollen Haltung fern von Familie und Beruf
verbringen musste, nicht verbittern konnten. Ungeachtet seines schweren
Schicksals hatte er ein offenes Herz für menschliche Not, er war stets
großzügig und hilfsbereit - ein wahrhaftes Beispiel echter
humanitas."
Bürgermeister Hajo Stuhlträger sagte über ihn vor
einigen Jahren in einer Gedenkstunde des Stadtrates von Bendorf, Dr. Bauer und
die anderen Bendorfer KZ-Opfer hätten geholfen, "durch ihren Widerstand
gegen die Barbarei den Glauben an ein anderes Deutschland aufrecht zu erhalten
und die Rückkehr unseres Landes zur Achtung der Menschenrechte, zur
Demokratie zu ermöglichen".
Anmerkungen: 1) Taufnamen Johann
Gottlieb 2) Bauer, Hans: Die Psychologie Alhazens auf Grund von Alhazens
Optik dargestellt, veröffentlicht in: Beitrage zur Geschichte der
Philosophie des Mittelalters, Band X, Heft 5, Münster 1911, S. I-VIII u.
1-73. 3) Das Gebäude besteht noch heute in der Engerser Straße.
4) Urteil der Generalstaatsanwaltschaft Hamm vom 2. November 1935, 1.
Instanz 1933-45, Nr. 6476 5) ebenda 6) veröffentlicht in Brill,
Hermann: "Gegen den Strom", Wege zum Sozialismus, Heft 1, Offenbach 1946, S.
96ff. Es heißt darin, während der ganzen Zeit der Diktatur
hätten Sozialdemokraten kameradschaftlich mit Katholiken und Kommunisten
zusammengearbeitet und auch auf eine spätere Zusammenarbeit gehofft. Aber
schon am zweiten Tage nach der Befreiung hätten sie erkennen müssen,
dass die KPD die alte geblieben sei und die Zusammenarbeit nur für ihre
Zwecke nutzen wollte.
(Link-Manifest-Text aus dem Original aus dem Nachlass von Dr. Hams
Bauer)
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