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Biografisches Portrait
des letzten Trierer Kurfürsten
Clemens Wenzeslaus

unter dem besonderen Aspekt seiner Rolle als katholischer Bischof in der Frühen Neuzeit

von Dieter Kittlauß

(Mitglied der GGH)

Clemens Wenzeslaus Hubert Franz Xaver, Seine Königliche Hoheit Prinz von Sachsen, Seine Eminenz Erzbischof und Kurfürst von Trier, Fürstbischof von Augsbug, gefürsteter Propst von Ellwangen. Gemälde von Beckenkamp 1790 - 1794

I. Einführung

II. Auf dem Weg

  1. Geboren im Schoß der Sächsischen Herrlichkeit
  2. Starke Frauen im Rücken
  3. Der Prinz aus dem Sachsenland
  4. Kriegskind und Offizier
  5. Der steinige Weg zum Bischofsamt

III. Seine Eminenz

  1. Erzbistum und Erzstift Trier
  2. Die Vorgänger auf dem Trierer Kurfürstenstuhl
  3. Seine Eminenz: Erzbischof und Kurfürst von Trier
  4. Zwischen den Fronten: Die Auseinandersetzung um Febronius.
  5. Clemens Wenzeslaus und die Aufklärung
  6. Protestanten und Juden in Erzstift und Erzbistum
  7. Königliche Hoheit, Kurfürstliche Gnaden, Fürstbischöfliche Eminenz
  8. Auf der Flucht, Machtverlust und Säkularisation
  9. Heimgang
  10. Literatur

Resümee



I. Einführung


Am 27. Juli 1812 starb Clemens Wenzeslaus (Anm.:1), der letzte Kurfürst und Erzbischof von Trier, in Oberdorf (Anm.:2), seinem Augsburger Sommersitz im Allgäu. Er wurde 73 Jahre alt und an der östlichen Chorwand der Pfarrkirche begraben.

Münze mit dem Halbportrait des Kurfürsten

1979 hat die Sparkasse Koblenz eine Sonderprägung des halben Konventionsstalers aus dem Jahr 1770 mit dem Brustbild des Kurfürsten prägen lassen. Anlässlich seines 200. Todestages will diese Studie einen Beitrag leisten, dem Kurfürsten Clemens Wenzeslaus als katholischen Menschen und Bischof der Katholischen Kirche näher zu kommen. Dies erscheint auch deshalb angebracht, da das Bild der geistlichen Staaten und ihrer Fürsten bis in unsere Zeit verzeichnet ist; sie erscheinen oft als Relikte, die aus dem finsteren Mittelalter in die Aufklärung hineinragen und dann zu Beginn des 19. Jahrhunderts radikal beseitigt wurden. (Anm.:3 )Dahinter stand tief im allgemeinen Bewußtsein, selbst in der Vorstellung des gebildeten, von Aufklärung und Liberalismus geprägten deutschen Bürgertums, die Vorstellung, "daß der Katholizismus notwendig in der Dummheit, Absurdität, Einfalt befangen, abgeschmacktem Aberglauben hingegeben, ein Kind des Pharisäismus, der Werkheiligkeit und der Finsternis sei." (Anm.:4) Dieses ausschließlich negative Bild der katholischen Reichskirche im 19. Jahrhundert ist inzwischen wissenschaftlich revidiert, (Anm.:5 )aber immer noch in vielen Köpfen. Clemens Wenzeslaus, "der dem Ideal eines frommen, um Reformen bemühten, romtreuen, geistlichen Fürsten der katholischen Aufklärung nahe kommt - nach dem Zeugnis selbst seiner Feinde ein 'gar frommer und bescheidener Herr" (Anm.:6 ), lebte im Barock an der Schnittstelle zur Frühen Neuzeit. Er erlebte sowohl das traditionelle System der feudalistischen katholischen Kirche wie die neue Zeit, die durch Aufklärung (Aufwertung des Individuums) und Säkularisation (Trennung von Kirche und Staat) gekennzeichnet war. Er genoss mit Selbstverständlichkeit die Privilegien seines Standes, war aber auch bereit, Verantwortung für das Sozialwesen zu übernehmen, das ihm mit der kurfürstlichen Würde anvertraut war. Clemens Wenzeslaus lebte mit Selbstverständlichkeit in der damaligen katholischen Welt, war aber durchaus offen für die Reform von Gesellschaft und Katholischer Kirche. Aus dem Geist des Humanismus war er tolerant, soweit dies ihm möglich war, und doch traf ihn der Sturm der Französischen Revolution mit Wucht. Trotz der nicht unbedeutenden sozialen Absicherung durch den Reichsdeputationshauptschluss vom 15. Februar 1803 vollzogen sich seine letzten Lebensjahre jenseits seiner bisherigen Machtposition.

Titelblatt des Hauptschlusses

Clemens Wenzeslaus war ein Spross der albertinischen Wettiner. Die Wettiner stammten aus dem Gebiet der Saale und hatten um die Jahrtausendwende in Wettin ihre Stammburg. Im Zusammenhang mit der Ostland-Bewegung erweiterten die Wettiner ihr Herrschaftsgebiet durch die Markgrafschaft Meißen und die Landgrafschaft Thüringen. 1423 erhielt das Herzogtum Sachsen die Kurwürde. Aber bereits nach einem Lebensalter - nämlich 1485 - ereilte die zwei Wettiner Brüder Ernst und Albrecht die "deutsche Krankheit": Sie trennten sich als Ernestiner und Albertiner. Durch ihr Engagement in der Reformation verloren die Ernestiner die Kurwürde und wurden bis in das südliche Thüringen gedrängt. Im Gegensatz dazu zählten die Albertiner bereits im 16. Jahrhundert zu den mächtigsten Fürstenhäusern in Deutschland, immer eng liiert mit dem Kaiserhaus. Als der sächsische Kurfürst August der Starke die polnische Wahlkrone errang, wurden die Albertiner zu Königlichen Hoheiten. Der siebenjährige Krieg hat in Europa die Gewichte verschoben, denn Brandenburg / Preußen wurde zur europäischen Großmacht. Blutige Kriege waren der Preis und alle europäischen Großmächte spielten dieses Spiel um Macht und Einfluss mit, bis die Französische Revolution nicht nur Frankreich sondern ganz Europa veränderte. In dieser Zeit lebte Clemens Wenzeslaus mit allen Privilegien seiner Klasse, aus der er geboren und in der er groß geworden ist.



Anmerkungen

  • 1.) Vgl. Raab, Bischof und Fürst (1989); Wikipedia, Clemens Wenzeslaus von Sachsen (24.10.2011); Bautz, Biographisch - Bibliographisches Lexikon, Artikel "Clemens Wenceslaus von Sachsen" (24.10.2011); Wikipedia, August der Starke und Friedrich August II. (24.10.2011); Marx, Geschichte des Erzstifts Trier (1864).
  • 2.) Heutige Gemeinde Markoberdorf.
  • 3.) Vgl. Raab, Bischof und Fürst (1989),322: Clemens Wenzeslaus von Sachsen und seine Zeit,(1962).
  • 4.) Raab, Clemens Wenzeslaus und seine Zeit (1962), 20.
  • 5.) In seiner Studie "Clemens Wenzeslaus von Sachsen und seine Zeit" (1962) hat der katholischen Historiker Heribert Raab (†) die Quellenlage ausführlich dargestellt.
  • 6.) Raab, Bischof und Fürst (1989), 329.





II. Auf dem Weg


1. Geboren im Schoß der Sächsischen Herrlichkeit.

Flagge des Kurfürstentums Sachsen bis 1806

Als Clemens Wenzeslaus am 28. September 1739 auf dem sächsischen Schloss Hubertusburg geboren wurde, war der Krieg der russisch - österreichischen Allianz gegen die Türken gerade 10 Tage vorbei. Vier Jahre hatten auch die sächsischen Truppen im Balkan gekämpft und begannen nun ihre Heimkehr vorzubereiten. Mit sechs Jahren, erlebte Clemens Wenzeslaus den Tod seines Großvaters: August der Starke, Kurfürst von Sachsen und Wahlkönig von Polen war am 1. Februar 1733 in Warschau im Alter von 62 Jahren am Diabetus mellitus gestorben. Die tagelangen Bestattungsfeierlichkeiten in Krakau und in Dresden entsprachen ganz dem extravaganten Lebensstil des "Starken August". Der Leichnam wurde in der Königskrypta des Krakauer Wawel beigesetzt, die separierten Eingeweide in der Warschauer Kapuzinerkirche und das Herz in Dresden aufbewahrt. Seine Ehefrau Christiane, eine Prinzessin von Brandenburg-Bayreuth, war schon 1727 gestorben. Die Ehe der väterlichen Großeltern war nicht glücklich gewesen. Die Historiker zählen bei August dem Starken 10 Mätressen, zu denen er ein öffentliches Verhältnis hatte, und von diesen 8 illegitime Kinder. Aus der unglücklichen Ehe mit Christiane kam nur 1 Kind: Am 17. Oktober 1696 wurde mit Friedrich August ein Sohn geboren. Die Konversion August des Starken zum Katholizismus im Jahre 1697, die dieser zur Erlangung der polnischen Wahlkönigswürde vollzog, hatte Christiane tief verletzt. Sie verließ den Hof und zog sich auf das Schloss Pretzsch zurück, wo sie bis zu ihrem Tode blieb und auch nicht zum Katholizismus konvertierte.

August der Starke

Die Konversion des Starken August zum Katholizismus ermöglichte nicht nur die polnische Königswürde, sondern öffnete auch den Sächsischen Hof für die italienische und französische Lebensart, für die überschäumende Lebensfreude des Südens. Der Satz "Die Fürsten schaffen sich Unsterblichkeit durch ihre Bauten" wird nicht zufällig König August zugeschrieben. Die tagelangen Feste und Feiern am Sächsischen Hof gaben der Minderheit des Adels einen Vorgeschmack auf die himmlischen Freuden. Der Starke August war als zweitgeborener Sohn des Kurfürsten Georg Friedrich August für die Erbfolge nur zweite Wahl und hatte so große Freiheiten für Reisen und Privatleben. Bereits jetzt zeigte sich seine Persönlichkeitsstärke, als er sich über das ungeschriebene Gesetz, protestantische Prinzen reisen in protestantische Länder, einfach hinwegsetzte und seine Reiseziele vor allem im Süden wählte, wobei ihm seine Sprachbegabung sehr förderlich war. Der starke August war hoch gebildet und sprach mehrere Sprachen. Als sein Bruder, Kurfürst Johann Georg, im April 1694 an den Pocken erkrankte und starb, hinterließ dieser nur eine uneheliche Tochter. So wurde der Starke August mit 24 Jahren unerwartet Kurfürst von Sachsen. In wenigen Jahren gestaltete er Sachsen zu einem der bedeutendsten Länder Europas. Er holte die Schönheit und Pracht des Südens nach Dresden, indem er italienische und französische Künstler und Baumeister scharenweise nach Dresden holte. Durch den Ankauf der Sammlungen des Fürsten Agostino Chigi und des Kardinals Albani legte August den Grund zur großen Antikensammlung. 1710 wird die erste europäische Porzellanmanufaktur in Dresden eröffnet. (Anm.:7)

Die Kehrseite der Medaille waren hohe Steuern und eine rücksichtslose absolutistischen Politik. In Ungnade gefallene Mitarbeiter wurden sofort ins Gefängnis geworfen. Durch seinen eigenen ungezügelten Lebensstil wurde das Mätressenwesen in Dresden zu einem Krebsgeschwür. Als sich seine langjährige Geliebte, die Gräfin Constantia von Cosel, nicht von ihm zurückziehen wollte, ließ er sie lebenslang einsperren.

Prinzessin Maria Josepha  als junge Frau

August der Starke hatte frühzeitig die Karriere seines Sohnes Friedrich August im Blick. Bereits 1704 knüpfte er erste Kontakte mit dem Habsburger Kaiserhof in Wien für eine eheliche Verbindung seines Sohnes mit der kaiserlichen Prinzessin Maria Josepha. (Anm.: 8) Ganz in Nachahmung der Habsburger Familienpolitik (Anm.:9 ) wollte er gegenüber dem aufstrebenden Preußen die Bindungen zwischen Sachsen und Österreich-Ungarn verstärken und vorsorglich für Sachsen die Kaiserkrone sichern, falls das Haus Habsburg aussterbe. Die Kaisertochter Maria Josepha war streng katholisch erzogen worden, die Ehe mit einem protestantischen Prinzen war undenkbar. Doch für den Starken August war die Konversion zum Katholizismus ein legitimes Mittel der Politik und für seinen Sohn ebenfalls kein Problem. Geschickt wurde alles hinter dem Rücken der sächsischen lutherischen Öffentlichkeit arrangiert.

Der junge Friedrich August

Da Kaiser Joseph I. am 17. April 1711 verstorben war, musste zur Neuwahl der kurfürstliche Wahlconvent nach Frankfurt einberufen werden. Hier gelang es, den vierzehnjährige Kronprinzen Friedrich August von den Hofbegleitern zu trennen, um ihn mit einer Gruppe Jesuiten zu einer Kunstreise nach Italien zu schicken. In Bologna war die Konversion zum Katholizismus bereits vorbereitet und wurde in aller Stille 1712 vollzogen. Dann setzte der junge Sachsenprinz seine Bildungsreise   (Anm.:10) mit der üblichen Begleitung fort. Auf der Rückreise im Jahre 1717 wurde am Wiener Kaiserhof die Konversion öffentlich bekanntgegeben und gefeiert. Nun stand der Hochzeit mit der Kaisertochter Maria Josepha nichts mehr im Wege. Zunächst erfolgte am 20. August 1719 in Wien die offizielle Hochzeit mit allem Pomp, den der Kaiserhof zu bieten hatte. Im September wurde die Hochzeitsfeier in Dresden fortgesetzt. Mehr als zwei Wochen dauerten die Feierlichkeiten mit Umzügen, Konzerten und Treibjagden mit vielen ausländischen Gästen.

Nach dem Tod des Starken August 1733 trat Friedrich August in die Erbfolge der Landesherrschaft und der Kurfürstenwürde. Als Friedrich August II. setzte er zunächst die liberale Innenpolitik seines Vaters fort. Er erneuerte 1734 das Revisionsversicherungsdekret, das allen Bürgern, auch den jüdischen, Religionsfreiheit unabhängig von der Konfession des Landesherrn zugestand, im Zeitalter des "Cuius regio, eius religio" (Anm.:11) ein Vorgriff auf die Josephinische Aufklärungspolitik und die Französische Revolution. Das neue Kurfürstenpaar wohnte oft auf der Hubertusburg, einem barocken Jagdschloss, dessen Bau schon der Starke August begonnen hatte. Während der Hofjagden reiste der ganze Hof mit allen Beamten und Dienern von Dresden dorthin.

Im Gegensatz zu seinem Vater war Friedrich August familienorientiert, er liebte seine Frau Maria Josepha und blieb ihr zeitlebens treu, auch wenn der intrigante Einfluss des Kanzlers Brühl auf den Kurfürsten zunehmend die Ehe belastete. Friedrich August war kunstliebend, liebte die großen Treibjagden, sammelte Maler, Bildhauer, Philosophen und Dichter um sich. Aber der Königsthron in Krakau reizte ihn ebenso wie seinen Vater. Nach dem Tod des Starken August war die polnische Königskrone vakant geworden, so dass sich Friedrich August darum bewerben konnte. Mit viel Geld und der Unterstützung durch Österreich und Russland konnte sich Friedrich August gegen den Kandidaten von Schweden und Frankreich durchsetzen. Als August III. wurde Friedrich August am 17. Januar 1734 zum polnischen König gekrönt und konnte auch im folgenden polnischen Erbfolgekrieg die Königskrone behaupten. Doch trotz großem persönlichem Einsatz scheiterte der neue König August III sowohl an der Macht des Adels (Magnaten) wie an den Interessen der Nachbarstaaten. So resignierte schließlich Friedrich August vor den Widrigkeiten der Politik und überließ ab 1738 die politischen Alltagsgeschäfte ganz dem neuen Kanzler Heinrich von Brühl.

Graf Heinrich von Brühl. Ölgemälde etwa 1750 von Louis de Silvestre (1675-1760)

Nun konnte er sich wieder seinen eigentlichen Interessen widmen: dem Familienleben, der Jagd, den Künsten, den rauschenden Festen, dem Sammeln von Porzellan und Gemälden, dem Bauen und Gestalten im Stil des Barock. Der Kanzler Brühl verstand es sehr geschickt, den Kurfürsten bei dessen künstlerischen Sammelleidenschaften zu unterstützen. Rubens, Tizian, Veronese - alles schaffte Brühl herbei. Das "Augusteiische Zeitalter", das mit dem Starken August begann, fand unter Friedrich August seine Vollendung. Beide waren durch ihre Reisen nach Paris und Italien enorm geprägt. Wie sein Vater war auch Friedrich August fasziniert vom Herrschaftsstil des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. und holte sich hier die Inspiration für die Prachtentfaltung des sächsischen Hofes; Bau und Gartenkunst, höfische Feste und Spiele, internationale Musikpflege, Theater, Jagdwesen und insgesamt ein französischer Kunstgeschmack. Es gab geradezu einen Kulturtransfer von Paris nach Dresden. Zahlreiche Pariser Künstler und Gelehrte kamen an den Dresdner Hof und wurden zu einer tragenden Säule sächsischen Hoflebens. Neben dem absolutistischen Frankreich war es vor allem die italienische Kunst, die Einfluss auf das Kurfürstentum bekam und die sächsische Residenzstadt zum nördlichsten Vorposten der italienischen Kunst in Europa machte. Rings um die Baustelle der katholischen Hofkirche des Architekten Chiaveri wuchs das "Italienische Dörfchen", in dem die jenseits der Alpen angeheuerten Künstler und Bauleute wohnten.

In dieser Welt der "Sächsischen Barockherrlichkeit" wuchs Clemens Wenzeslaus auf .




Anmerkungen

  • 7.) Vgl. Raab, Clemens Wenzeslaus (1962), 62ff
  • 8.) Wikipedia, Josepha von Österreich (24.10.2011).
  • 9.) Alii pugnant, tu autem felix austria nube = Die Anderen führen Kriege, du aber glückliches Österreich heirate.
  • 10.) In ihrer Studie "Die Prinzenreise" hat Eva Bender nachgewiesen, dass die Bildungsreisen des deutschen Prinzen eine feste Institution im Deutschen Reich waren. In den Prinzenreisen wurden die Söhne des deutschen Hochadels nach einer Grundausbildung am heimischen Hof auf Reisen geschickt. Für die katholischen Prinzen kamen in der Regel die katholischen Herrschaftshäuser infrage, also vor allem Frankreich, Italien und Spanien sowie das antike Griechenland. Die Prinzen reisten jeweils mit einem stattlichen Gefolge und hatten sich meist einem streng organisierten Ausbildungsprogramm zu unterwerfen
  • 11.) Die Kompromissformel des Augsburger Religionsfriedens 1555 sah in der ausschließlichen Religion der Landesherrn die beste Garantie für Frieden und Sicherheit.





2. Starke Frauen im Rücken

Von seinem Vater bekam Clemens Wenzeslaus den barockenen Lebensstil, allerdings modifiziert, denn die tagelangen rauschenden Feste waren nicht seine Art. Er liebte stattdessen schöne Räume und Möbel, Literatur, Kunst und Musik. Die Frauengeschichten seines väterlichen Großvaters waren ihm ein Gräuel, so wie die grausamen Jagden seines Vaters. Dass sich Clemens Wenzeslaus in wesentlichen Eigenschaften von seinem Großvater und seinem Vater unterschied, hat er der mütterlichen Linie zu verdanken. Seine musisch - spirituellen Eigenschaften sowie seine selbstverständliche Verankerung im Katholizismus gehen auf vier starke Frauen zurück: die Kaiserin Eleonore (Urgroßmutter), die Kaiserin Wilhelmine Amalia (Großmutter), die Kaisertochter, Kurfürstin und Königin Maria Josepha (Mutter) und die Kurprinzessin Maria Antonia (Schwägerin).

Das Bild zeigt die Hochzeit von Kaiser Leopold mit der Prinzessin Eleonore von der Pfalz am 14. Dezember 1676 in Passau. Der Maler ist nicht benannt. Quelle: Wikimedia Commons. Die Bilddatei ist gemeinfrei, da die urheberische Schutzfrist abgelaufen.

Eleonore Magdalene, (Anm.:12) eine Pfälzer Prinzessin, hatte als junges Mädchen starke Ambitionen zu einem klösterlich - spirituellen Leben. Doch sie musste sich dem Willen der Familie beugen. Als Kaiser Leopold I. nach dem Tod seiner zweiten Gemahlin um sie warb, weil der Hof gerade von einer jungen Pfälzerin Nachwuchs erwartete, musste sie sich fügen und wurde im Dezember 1676 in Passau mit dem 36jährigen Kaiser vermählt. Eleonore bekam großen Einfluss am Hof, weil sie von Leopold abgöttisch geliebt wurde und ihm zehn Kinder schenkte. Der frommen und sittenstrengen Eleonore war es rasch gelungen, die Zuneigung ihres ebenso bigotten Gemahls zu gewinnen. Die Kaiserin lebte am Wiener Hof ein fast klösterlich - einfaches Lebens und war tief im Katholizismus verwurzelt. Aber sie war auch sehr lebenstüchtig. Für ihre zahlreichen Verwandten und Günstlinge besorgte sie ungeniert gut dotierte Stellen. Da der Kaiser nichts auf Französisch lesen wollte, diente sie ihm auch als Übersetzerin und war so bei allen wichtigen Staatsgeschäften direkt beteiligt. Eleonore war ihrem Gemahl treu ergeben und pflegte ihn hingebungsvoll in seiner letzten Krankheit bis zum Tod 1705.

Kaiserin Wilhelmine Amalia

Die Nachfolge im Kaiseramt übernahm der älteste Sohn Joseph, der als intelligent, sexsüchtig und wenig religiös beschrieben wurde. Doch nun konnte sich die Kaiserinmutter ganz ihrer Schwiegertochter, der neuen Kaiserin Wilhelmine Amalie,(Anm.:13) und deren beiden Töchtern, Maria Josefa und Maria Amalia widmen. Die beiden Frauen waren sehr religiös und katholisch, sie sprachen mehrere Sprachen, pflegten eine reiches Musikleben und waren in der europäischen Literatur bewandert. Sie engagierten sich in der Armen- und Krankenfürsorge und waren schwarz gekleidet. Zielstrebig wurden die beiden Mädchen Maria Josepha und Maria Amalia von Großmutter und Mutter in das Leben eingeführt. Allgemeinbildung, Sprachkenntnisse, katholische Religion, Musik, Familiengeschichte, höfisches Verhalten und Literatur gehörten zum straffen Ausbildungsprogramm der jungen Prinzessinnen. (Anm.:14) Nachdem die beiden Töchter verheiratet waren und bereits 1720 die Altkaiserin Eleonore verstorben war, entschloss sich Wilhelmine Amalie in das Kloster der Wiener Salesianerinnen zu gehen und vollzog 1722 diesen Schritt.

Maria Josepha, kaiserliche Prinzessin und Erzherzogin von Österreich

Maria Josepha, (Anm.:15) am 8. Dezember 1699 in Wien geboren, kaiserliche Prinzessin und damit Erzherzogin von Österreich, war ein Ebenbild ihrer Mutter und ihrer Großmutter: intelligent, polyglott, musisch-künstlerisch, spirituell und vor allem durch und durch katholisch. Durch die eheliche Verbindung mit dem sächsischen Kronprinzen Friedrich August kam sie an den Sächsischen Hof und wurde durch die Thronfolge ihres Gatten Kurfürstin von Sachsen. Als Hochzeitsgeschenk bekam sie von ihrem Schwiegervater, dem Starken August, das neue Opernhaus, ein neuer Bau Pöppelmanns, mit 2000 Plätzen damals das größte deutsche Theater, zusammen mit der Aufführung der Oper "Giove in Argo" von Lotti geschenkt. Später wurde Maria Josepha Direktorin der Oper. Der Starke August organisierte in Dresden über 4 Wochen "minutiös geplante Feiern, die sich über den gesamten September erstrecken. Er kaufte das Holländische Palais von Flemming und baut das Türkische Palais um. Den beeindruckenden Auftakt der Festlichkeiten bildete Maria Josephas Ankunft in Dresden. Ein eigens gebautes Lustschiff brachte sie von Pirna in Begleitung von 15 holländischen Yachten in ihre neue Heimat." (Anm.:16) Die so genannten Planetenfeste fanden ganztägig statt: das Apollofest im Zwinger, das Marsfest auf dem Altmarkt und das Venusfest im Großen Garten. Als Maria Josepha bei dem Damenringrennen, wo Herren kutschierten und die Damen mit einer langen Lanze 2 aufgehängte Ringe treffen mussten, Siegerin wurde, erhielt sie als Preis eine kostbare Haarnadel. (Anm.:17) Abends nach einem voluminösen Bankett im neu gestalteten Riesensaal des Schlosses feierte die Hochzeitsgesellschaft mit Feuerwerk und vielen künstlerischen Darbietungen bis zum frühen Morgen. (Anm.:18

*

Im Hochzeitszug zeigten sich übrigens die sächsischen Bergleute zum ersten Mal in ihrer neuen Bergmannstracht, die später in den Schnitzereien von Seiffen verewigt wurden. Was später von den Chronisten oft verschwiegen wurde, war die Not unter der einfachen Bevölkerung, denn das Jahr 1719 war durch eine Missernte ein Hungerjahr. Verschwiegen wurde auch, dass die Uniformen der Bergleute und die Festkleidung der beorderten Statisten an den Straßen und Plätzen später von diesen selbst in langen Raten abgezahlt werden mussten. (Anm.:19)

Dem Starken August gefiel seine neue Schwiegertochter, besonders dass sie sich leidenschaftlich an den Hetzjagden beteiligte. Deshalb arrangierte er im Oktober eine nochmalige Festwoche auf der Moritzburg. Da er den Kronprinzen von allen Regierungsgeschäften fernhielt, hatte das junge Paar bis zur Regierungsübernahme genügend Zeit für eine glückliches Ehe- und Familienleben. Maria Josepha trennte sich kaum von ihrem Mann und begleitete ihn auch auf seinen Reisen, sie sprach lateinisch, italienisch, französisch und lernte nach der Königswahl auch perfekt polnisch. Sie liebte ihre Kinder und hatte diese immer um sich, soweit das nur ging. Zur Krönungsfeier am 17. Januar 1734 in Kraków nahm sie ihren dreijährigen Sohn Xaver mit. Im Herbst 1735 reiste sie hochschwanger mit ihrem Gatten nach Warschau, wo sie 21 Monate blieb und in dieser Zeit zwei Kinder gebar.

Viel Zeit widmete Maria Josepha der Ausbildung ihrer Kinder, plante diese sehr sorgfältig und überprüfte sie bis ins Detail; "Sie schrieb selbst mit eigener Hand eine Tagesordnung und ließ sie in den Kammern aufhängen, und kam zu unvermuteter Zein Zeiten nachzusehen, ob alles fleißig beobachtet werde", schrieb ihr Beichtvater Hermann. (Anm.:20

In der protestantischen Öffentlichkeit von Preußen und Sachsen wurde Maria Josepha allerdings negativ eingeschätzt. Man verspottete sie als hässliche Prinzessin, nannte sie die Fee Carabosse (Anm.:21), die nichts anderes tue als Rosenkränze beten und ihre lässlichen Sünden bereuen. Insgesamt 15 Kinder (Anm.:22) hat Maria Josepha geboren, von denen 12 das Kindesalter überlebten . Als Verehrerin des hl. Xaver, Mitbegründer des Jesuitenordens, gab sie allen Söhnen den Beinamen Xaver; als Marienverehrerin nannte sie alle Mädchen Maria. Frühzeitig begann Maria Josepha mit der Heiratsplanung. Die Prinzessin Maria Anna wurde mit dem Bayerischen Kurfürsten Maximilian verheiratet und Prinzessin Maria Josepha wurde die Mutter von drei französischen Königen. Die jüngsten Kinder waren Clemens Wenzeslaus und Maria Kunigunde. Für die fromme Maria Josepha war es ein tiefer Wunsch, dass sich einige ihrer Kinder für den geistlichen Stand entschieden, dies bezog sich auch auf Clemens Wenzeslaus.

Maria Josepha als 45 jährige Frau

Aus Wien hatte Maria Josepha ihren Hofstaat mitgebracht. Der Kanzler Brühl sorgte dafür, dass sie durch zusätzliche sächsische Oberhofmeisterinnen vom politischen Geschehen isoliert wurde. "Nur durch Zufälle erfuhr sie hie und da etwas über die Verhältnisse im Kurfürstentum. Ihr Wirkungskreis war ganz auf die Familie, auf die Erziehung ihrer Kinder beschränkt.(Anm.:23 Allerdings war es ihrem Einfluss zu verdanken, dass die Mätressenwirtschaft, die unter dem Starken August wie ein Krebsgeschwür die Hofgesellschaft überwuchert hatte, radikal abgebaut wurde. (Anm.:24)

Im Unterschied zum Starken August, der seinen Konfessionswechsel als eine rein persönliche Sache betrachtet hatte, war es für Maria Josepha unbedingt wichtig, für sich und ihre Familie die Voraussetzungen für katholisches Leben zu schaffen. So war in ihrem Ehevertrag für sie persönlich, ihre Familie und ihren Hofstaat das Recht auf einen katholischen Friedhof verbürgt worden. August der Starke bestimmte dazu den Friedhof der katholischen Klosterenclave Marienstern. Im Februar 1724 erfolgte hier unter Ausschluss der Öffentlichkeit die erste katholische Beerdigung.

Ein zweites Problem war die Beseitigung der lutherischen Kapelle auf dem Schloss. Dies gelang 1737 und auch hier unbemerkt von der Öffentlichkeit. Ab Pfingsten 1737 fand der lutherische Hofgottesdienst in der Sophienkirche (Anm.:25) statt. Um den offenen Streit mit dem lutherischen Stadtrat zu vermeiden, fanden jedoch katholische Gottesdienste zunächst nur in der kurfürstlichen Hauskapelle und in der Privatkapelle des Österreichischen Gesandten statt. Durch die konservativ katholische Kurfürstin Maria Josepha verschärfte sich der Gegensatz zwischen dem katholischen Dresdener Hof und dem lutherischen Sachsen. Da sich der Rat der Landeshauptstadt Dresden als Verteidiger der lutherischen Identität verstand, hatte er schon 1726 den Baumeister George Bähr mit dem Bau einer neuen lutherischen Stadtkirche (Frauenkirche) beauftragt. (Anm.:26) 1743 erfolgte die Einweihung durch den lutherischen Superintendenten.

Um das konfessionelle Gleichgewicht zwischen dem Hof und der Stadt auszugleichen und dem katholischen Fürstenhof ein repräsentatives Gotteshaus zu bieten, erreichte Maria Josepha 1739, dass als Pendant zur evangelischen Frauenkirche der Bau einer katholischen Hofkirche erfolgte. Durch die zahlreichen italienischen Bauleute wuchs die katholische Gemeinde, so dass bis zur Fertigstellung der Hofkirche die katholischen Messen in dem neu erbauten katholischen Waisenhaus für Soldatenkinder öffentlich gefeiert wurden.

Dresden, Hofkirche

1755 erstand ein barockes Repräsentativgebäude unter der Leitung des italienischen Architekten Gaetano Chiaveri. Die Einweihung der neuen Hofkirche erfolgte am 29. Juni 1751 durch den Apostolischen Nuntius in Polen. Bereits vier Tage nach der Kirchweihe der Hofkirche ließ Maria Josepha die Särge der drei verstorbenen Kinder der kurfürstlichen Familie in die Grabgewölbe überführt.

Bei aller leidenschaftlichen Katholizität hat Maria Josepha ihre Kinder im toleranten Geist der Aufklärung und des Humanismus erzogen. Nächstenliebe und Achtung der Meinung des Anderen waren ihr immer hohe Werte sowohl für sie persönlich wie in der Erziehung ihrer Kinder. (Anm.:27) Maria Josepha war berühmt für ihre Freigebigkeit und ihr soziales Engagement. 1746 gründete sie das "Josephinenstift" für arme katholische Mädchen in der Seevorstadt. Vorbild waren das evangelische Ehrlichsche Stift zur "Fürsorge für geistig und verwaiste und arme Kinder ev.-luth. Bekenntnisses". (Anm.:28) Persönlicher Hintergrund waren die Erlebnisse bei der Flucht mit den Kindern nach dem Einmarsch der preußischen Truppen. Die Finanzierung erfolgte aus einer persönlichen Erbschaft nach dem Aussterben der Wettiner Nebenlinie Sachsen-Weißenfels.

Maria Josepha, Königin von Polen; Das Bild wurde 1757 von Pietro Antonio Rotari gemalt. Quelle. Wikimedia Commons

1756 brachte der siebenjährige Krieg mit Preußen eine völlige Veränderung der Lebenssituation der kurfürstlichen Familie. Als die kleine sächsische Armee am Lilienstein kampflos kapitulierte, konnte sich Friedrich August mit seinem ganzen Hof nach Warschau retten, weil die Polen Druck auf Friedrich II. ausübten und mit Krieg drohten, wenn er dem König von Polen und seiner Familie die Ausreise verweigere. Doch die kuragierte Kurfürstin Maria Josepha blieb mit dem Kurprinzenpaar Friedrich Christian und Maria Antonia sowie den kleinen Kindern in Dresden. (Anm.:29) Die Überlieferung berichtet, dass sich Maria Josepha vor das Staatsarchiv stellte, als es die Preußen öffnen wollten, und sich mit Händen und Füßen wehrte, als man sie mit Gewalt fortzerrte. (Anm.:30) Vergeblich versuchten die Preußen die Kurfürstin durch Schikanen zur Flucht zu bewegen. Am 17. November 1757 starb die Kurfürstin Maria Josepha. Sechs Jahre später kehrte der Kurfürst nach Dresden zurück und starb am 5. Oktober 1763. Er wurde bei seiner Frau in der Hofkirche beigesetzt. Mit ihnen starb die "Herrlichkeit Sachsens ".

Kurprinzessin Maria Antonia. Das Bild wurde vor 1779 von Anton Raphael Rengs gemalt. Quelle: Wikimedia Commons. Die Bilddatei ist gemeinfrei, da die urheberische Schutzfrist abgelaufen. Der Fotograf hat von der Nennung seines Namens entbunden.

Die vierte der starken Frauen, die den jungen Clemens Wenzeslaus prägten, war seine Schwägerin, die Kurprinzessin Maria Antonia. Die bayerische Prinzessin Maria Antonia malte mit unterschiedlichen Techniken und organisierte Literaturkreise für die ganze Familie. Nachdem sie Kompositionsunterricht bei mehreren italienischen Maestros erfolgreich genommen hatte, begann sie zu komponieren und pflegte vor allem das musikalische Leben in der Familie. Am Karsamstag 1750 wurde ihr erstes Werk "Die Bekehrung des heiligen Augustinus" aufgeführt, vier Jahre später folgte "Triumpf der Treue", bei der die Kurprinzessin die Rolle des Nice selbst sang. 1757 wurde sie unter dem Künstlernamen Ermelinda Tales Mitglied der Arcadia in Rom. Maria Antonia weckte in dem jungen Wenzeslaus die Liebe zur Musik und zum Theater, motivierte ihn Flöte und Viola intensiver zu üben und schärften seine Sinne für das Schöne. Gerade in der Besatzungszeit, als die kurfürstliche Familie ohne den Kurfürsten im Schloss auf eingeschränktem Raum zusammenleben musste und den Schikanen des Preußenkönigs hilflos ausgeliefert war (Anm.:31), als das kulturelle Leben in der Öffentlichkeit unter den Stiefeln der preußischen Soldaten zusammengebrochen war, da war Maria Antonia so etwas wie die lebendige Mitte der Familie. (Anm.:32)



Anmerkung





3. Der Prinz aus dem Sachsenland   (Anm.:33)



Am 28. September 1739 wurde Clemens Wenzeslaus als elftes überlebendes Kind auf Schloss Hubertusburg geboren. Die Taufe geschah gleich nach der Geburt durch den Päpstlichen Nuntius Fabricius Serbelloni. Als sich die Kurfürstin von der Geburt erholt hatte, wurden die feierlichen Zeremonien am 1. November 1739 in der Schlosskapelle wiederholt. Der neugeborene Prinz Clemens Wenzeslaus August Hubertus Franz Xaver erhielt den ersten Namen zu Ehren des blinden Papstes Clemens XII, um die enge Bindung zwischen dem Papsttum und den Sächsischen Wettinern als katholische Pfeilspitze in Deutschland deutlich zu machen.

Der zweite Name Wenzeslaus, ein slawischer Name mit der Bedeutung "der Ruhmreiche" erinnerte an die Bindungen mit Polen - Litauen. Der dritte Name August schloss an Vater und Großvater an. Der vierte Name Hubertus erinnerte an den Geburtsort, der fünfte und sechste Name bezog sich auf den hl. Franz Xaver, einen spanischen Jesuitenmissionar. Maria Josepha hatte ihn für alle Jungen ausgesucht, da der hl. Franz Xaver ihr Lieblingsheiliger war. (Anm.:34)

An den Wettiner (Anm.:35) Fürstenhöfen erhielt jedes Kind nach der Geburt eine Aja (Anm.:36), die in Vertretung der Mutter die Verantwortung für das Kind übernahm. Sie hatte eine Amme zur Seite, die für Ernährung und Pflege zuständig war. Nach den Sächsischen Hofkalendern, die alles Personal am Hof für jedes Jahr auflisteten, gab es von 1728 bis 1732 eine Gesamt-Aja für alle kleinen Kinder. Das Dienstpersonal des Kinderhofes war bewusst international ausgewählt, um die Kinder schon frühzeitig in die lebendigen Sprachen einzuführen. Die Verkehrssprache innerhalb der kurfürstlichen Familie war in der Regel französisch oder - allerdings in geringerem Maße - deutsch; die deutsche Sprache hatte damals für katholische Ohren immer noch einen "stark lutherischen Klang"; durch das italienische, tschechische und polnische niedere Hofpersonal (Dienerinnen und Diener, Pagen, Ausbilder) bekamen die Kinder frühzeitig Zugang zu deren Sprachen. Erhalten ist eine kleine Festschrift der Prinzessin Margarete zum Namenstag (Anm.:37) des Kurprinzen Friedrich Christian, in dem Gedichte der anderen Prinzessinnen, die im Alter zwischen 8 und 2 Jahren waren, in französischer Sprache enthalten sind. (Anm.:38) Sehr frühzeitig wurden Lehrer für Grundkenntnisse im Schreiben, Lesen und Rechnen der Kindergruppe beigefügt. Aber auch die musische Bildung wurde gepflegt. 1737 reiste die kurfürstliche Familie mit großem Gefolge zu einem Treffen mit der Kaiserinwitwe Amalia im Schloss Neuhaus, bei dem die Kinder das Singspiel "Timandra" aufführten. In einem Bild hat der zu seiner Zeit berühmte Maler Louis de Silvestre die kurfürstlichen Eltern und den Kindern Friedrich Christian (15), Maria Amalia (13), Maria Anna (9), Xaver (7), Maria Josepha (6) und Karl (4) gemalt. (Anm.:39) An erster Stelle aber stand immer die religiöse Formung durch Unterricht, tägliches Gebet (zum Teil kniend zu verrichten), gemeinsame Andachten und Besuch der Hl. Messe.

Clemens Wenzeslaus als Kind. Quelle: Uni Leipzig. Lizenz wurde erteilt.

Im Alter von 5 bis 7 Jahren erhielt jedes Kind einen eigenen Hofstaat, der von einem Hofmeister geleitet wurde. (Anm.:40) Ihm stand ein "Präzeptor" für die Bildungsvermittlung zur Seite. Ausgewählte junge Edelknaben bzw. Edeldamen lebten Tag und Nacht mit "der jungen Durchlaucht" zusammen. Eine große Anzahl von Kammerjunker und Zofen, ein eigner Etat, eigene Räume mit einer Bibliothek und diversen Salons, ein vorgegebener Ausbildungs- und Lebensplan und die Wünsche der kurfürstlichen Eltern bestimmten das Lebens eines solchen Hofstaates im Hof.

Für die Prinzen wurde ein militärischer Hofmeister ernannt, der die sportliche und militärische Erziehung überwachte. In der Regel wurden die Prinzen frühzeitig einem Regiment zugewiesen und trugen dessen Uniformen. (Anm.:41) Körperliche Züchtigung bedurfte der vorherigen Genehmigung der kurfürstlichen Eltern. Wegen des Erhalts der Erbdynastie wurde der jeweilige Kurprinz (Kronprinz) besonders großzügig mit Mitteln und Personal ausgestattet. Die Ausbildungsphase wurde bei den Prinzen in der Regel mit einer Kavaliersreise abgeschlossen. (Anm.:42) Deshalb erhielt auch Clemens Wenzeslaus mit fünf Jahren einen eigenen Hofstaat, der jährlich mit achttausend Talern ausgestattet war. Nach der spielerischen Kleinkindphase begann nun für ihn das harte Leben eines Königlichen Prinzen. (Anm.:43)

Um Polnisch zu lernen, erhielt Clemens Wenzeslaus erst einen und später zwei polnische Pagen. (Anm.:44) Da der Unterricht zusammen mit dem ein Jahr älteren Bruder Albert Kasimir erfolgte, wurde eine eigene Oberhofmeisterstelle geschaffen und der Geheime Konferenzminister Rupert Florian von Wessenberg (später dessen Sohn) dazu berufen. Zwei Jesuiten wurden die Beichtväter der Prinzen, mit Pater Ferdinand Söhr war Clemens Wenzeslaus lebenslang verbunden. (Anm.:45) Weil man sich am kurfürstlichen Hof auch um die Pflege der deutschen Sprache bemühte (Anm.:46), lernte Clemens Wenzeslaus neben Französisch, Italienisch und Polnisch auch deutsch zu sprechen. Seine Kenntnisse der deutschen Muttersprache waren nicht schlechter, als die vieler Fürsten seiner Zeit. Die Sprache seiner deutschen Hirtenbriefe und der ihm zugeschriebenen, offenbar aber von Joh. Michael Sailer verfaßten Schriften, hält den Vergleich mit anderen zeitgenössischen deutschen Prosaerzeugnissen aus, wie Raab bezeugt.

Daß sich in seinem Leben - abgesehen von Sophie La Roche, Sailer und Bronner - kaum Spuren von Beziehungen zur deutschen Literatur der Zeit nachweisen lassen, kann nicht überraschen. Erst im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert lässt sich bei den deutschen Bischöfen ein größeres persönliches Interesse und ein aktiveres Verhältnis zu deutschen Literatur nachweisen. (Anm.:47)

Ein eigenhändig geschriebener Brief von Clemens Wenzeslaus

Clemens Wenzeslaus lernte natürlich auch Lateinisch und Griechisch. (Anm.:48) Mathematik, Hof- und Kriegsgeschichte sowie Zeichnen standen ebenfalls auf dem Lehrplan. Clemens Wenzeslaus lernte außerdem das handschriftliche Schreiben, wie es sonst nur bei Gelehrten, Beamten und Schreibern zu finden war. Der Besuch der täglichen Hl. Messe, die persönlichen Gebete zu den Tagzeiten, Lektüre von Heiligenlegenden und die gemeinsamen Andachten des ganzen Hofes sowie die Aufführungen des Hoforchesters und des Kreuzchores ließen wenig Zeit für Privates. Clemens Wenzeslaus war ein ausgezeichneter Reiter, spielte vorzüglich Flöte und Geige (Viola), war ein versierter Fechter mit Säbel und Degen und liebte die Bildenden Künste und die Poesie. Von Clemens Wenzeslaus sind zwei mathematische Aufgabenhefte erhalten, die im zeitüblichen Deutsch (>Fremdwörter kursiv ) beschrieben sind. Dies lässt den Schluss zu, dass Clemens Wenzeslaus frühzeitig Deutsch geschrieben hat

Ende November 1753 erkrankte Clemens Wenzeslaus an den Pocken und musste zwei Monate das Bett hüten. (Anm.:49) Doch er überstand die Krankheit und konnte seine Ausbildung fortsetzen. Durch das parallele Leben am Warschauer und am Dresdener Hof reduzierten sich die Begegnungen der beiden Prinzen mit ihren Eltern. Auch wirkten sich die politischen Spannungen direkt auf das Leben der Familie aus. Seit 1748 speisten die beiden Prinzen separat mit ihren Erziehern und begegneten der Mutter nur bei gemeinsamen Spielabenden und bei Gottesdiensten. (Anm.:50)

Als Clemens Wenzeslaus 1739 geboren wurde, waren bereits 3 Geschwister verstorben Aber auch die nächst ältere Schwester Maria Amalia kannte Clemens Wenzeslaus nur vom Gemälde eines Hofmalers, da sie mit 14 Jahren mit dem Bourbonen Don Carlos, dem späteren König von Spanien verheiratet worden war. Als der gerade einjährige Clemens Wenzeslaus seinen ältesten Bruder, den Kurprinzen Friedrich Christian, zum ersten Mal erlebte, kam dieser von seiner zweijährigen Prinzenreise durch Italien nach Dresden zurück. Der Kurprinz litt unter Lähmungserscheinungen in den Füßen und hatte deshalb den Italienaufenthalt auch zum Kuren benutzt. Der überaus gebildete Kurprinz hatte auf die weitere Entwicklung von Clemens Wenzeslaus großen Einfluss.

Friedrich Christian von Sachsen als junger Prinz. Der Maler ist unbekannt. Vermutlich gemalt im Alter von mehr als 10 Jahren. Quelle: Wikipedia.

Clemens Wenzeslaus war acht Jahre alt, als er das Jahr der Hochzeiten erlebte, die die Wettiner unter dem Motto "Fortius ex gremio nexu" (Anm.:51) noch stärker untereinander und mit dem europäischen Hochadel verbanden. Im Februar 1747 heiratete die Schwester Maria Josepha, die der kleine Clemens Wenzeslaus mit dem Kosenamen "Pepa" rief, den französischen Dauphin Ludwig. Im Juli 1747 heiratete die Schwester Maria Anna, in der Familie Maritza gerufen, den bayerischen Kurfürsten Max. Zu gleicher Zeit wurde der Kurprinz Friedrich Christian mit der Schwester des bayerischen Kurfürsten, Maria Antonia, verheiratet. Eigentlich sollte es eine Doppelhochzeit in Dresden geben, die aber beim Münchener Hof auf Widerstand stieß. (Anm.:52)

Zu den beiden älteren Brüdern Franz Xaver und Karl Christian hatte Clemens Wenzeslaus keine enge Bindung. Herzlich war aber seine Beziehung zu den beiden älteren Schwestern Marie Christine und Maria Elisabeth. Zu der jüngeren Schwester Kunigunde Dorothea, in der Familie "Cucu" gerufen, entstand bereits im Kinderhof eine enge geschwisterliche Bindung. Clemens Wenzeslaus wird später mit ihr viele Jahre eng zusammenleben. Mit seinem ein Jahr älteren Bruder Albert Kasimir verbrachte Clemens Wenzeslaus seine Kindheit und Jugend.

"Aufs Ganze gesehen war das Verhältnis der Geschwister am Dresdener Hof herzlich und ausgeglichen. Von Spannungen und Differenzen, die gewöhnlich unter Geschwistern nicht gerade selten sind, ist kaum etwas festzustellen. Ein ausgeprägter Familiensinn ließ sie in guten wie in bösen Tagen zusammenhalten. Trotz der großen Altersunterschiede, trotz der verschiedenen Berufe und Stellungen, die sie einnahmen, fühlten sie sich stets als Familie. Nur aus dieser gegenseitigen Unterstützung und dem ausgeprägten Familiensinn, nur aus der Beihilfe der Schwestern zu München, Versailles und der Schwägerin, der ‚chere Alte' Maria Antonia, ist der Aufstieg Clemens Wenzeslaus zum größten Teil zu erklären. Familiensinn musste ersetzen, was Sachsen seit der Kapitulation am Lilienstein, seit den Zerstörungen durch die preußische Armee an militärischem und politischem Potential verloren hatte." (Anm.:53)



Anmerkungen

  • 33 Vgl. ebd. 55ff; Wächter , Degen und Krummstaat ( 1978)
  • 34 Franz Xaver ( 1506 - 1552) missionierte in Indien, Indonesien und Japan. Er wurde auf Goa begraben. Ein Arm befindet sich als Reliquie in der Jesuitenkirche Roms.
  • 35 Ernestiner (Sachsen-Weimar), Albertiner (Sachsen-Dresden), Wittelsbacher (Bayern).
  • 36 Vgl. Richter, Erziehungswesen (1913).
  • 37 Als katholische Familie wurde statt des Geburtstages der Namenstag gefeiert.
  • 38 Vgl. Richter Erziehungswesen (1913), 322ff.
  • 39 Ebd. 327.
  • 40 Vgl. Reimann Ernst, Prinzenerziehung (1904); Palomino, Erziehung im mittelalterlichen Adel (1999), Auszug Online (24.10.2011)
  • 41 Bei den Hohenzollern wurden die Prinzen bereits mit sieben Jahren in das Garde-Landwehr-Regiment aufgenommen. Ein höherer Offizier übernahm dann die militärische Erziehung, die einen großen Teil des straffen Stundenplans einnahm. Vgl. Feuerstein-Praßer Karin, Augusta, Kaiserin und Preußin (2011)
  • 42 Vgl. Bender Eva, Die Prinzenreise (2011).
  • 43 Vgl. Wächter Dorothea , Degen und Krummstaat ( 1978)
  • 44 Richter Erziehungswesen (1913). 368: "Es waren demnach bis auf geringe Ausnahmen lauter polnische Jünglinge zur Gesellschaft der jüngeren Prinzen berufen."
  • 45 Vgl. Raab, Bischof und Fürst (1989).
  • 46 Die Gründung einer Deutschen Akademie wurde durch den siebenjährigen Krieg unterbunden.
  • 47 Raab, Clemens Wenzeslaus (1962), 58.
  • 48 Weder Albert Kasimir noch Klemens Wenceslaus aber lernen es, akkurat Lateinisch zu sprechen.
  • 49 Obwohl die Katholische Kirche Vorbehalte gegenüber den Impfungen hatte, führte das katholische Bayern als erster Land 1807 die Pockenimpfung ein. Vgl. Wikipedia, Artikel Pocken (23.01.2012).
  • 50 Vgl. Richter Julius, Erziehungswesen (1913) 369ff.
  • 51 Unter diesem Motto, stärker durch verwandtschaftliche Beziehung, wurde in München wochenlang die Hochzeit des Kurfürsten gefeiert. Vgl. Raab, Clemens Wenzeslaus (1962), 43 und Schmidt Alois, Max III. Joseph, gfd. Books.google.de, Stichwort "fortius gremio nexu" (07.11.2011)
  • 52 Raab, Clemens Wenzeslaus (1962) 46ff.
  • 53 Vgl. Raab, Clemens Wenzeslaus (1962) 53f.
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4. Kriegskind und Offizier   (Anm.:54)


Ab 1740 wurde das militärisch bedeutungslose Kursachsen in die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Österreich, Frankreich und dem aufstrebenden Preußen hineingezogen. Der Preußenkönig Friedrich II. wollte durch die Eroberung Schlesiens seinen Staat aufbauen. Frankreich führte seine Machtpolitik gegen England und Mitteleuropa. Das Habsburger Österreich musste sich verteidigen und nicht nur sein Stammland. In den drei schlesischen Kriegen, von denen sich einer über sieben Jahre hinzog, wurde der sächsische Kurstaat auch direkt betroffen. 1744 wurden Leipzig und Meißen erobert, die sächsische Armee bei Kesselsdorf geschlagen, Dresden wurde bombardiert. Weihnachten 1745 marschierte Friedrich II. mit den preußischen Truppen in Dresden ein.

Im Friedensabkommen von Dresden musste sich Sachsen verpflichten, eine Million Reichstaler als Kriegsentschädigung zu zahlen, Preußen behielt Schlesien und stimmte als Gegenleistung zu, dass der Gatte von Maria Theresia als Franz I. zum Deutschen Kaiser gewählt wurde. Am 29. August 1756 überrollte die preußische Militärmaschine das Sachsenland zum zweiten Mal.

Als Dresden von den preußischen Truppen besetzt wurde, war Clemens Wenzeslaus 17 Jahre alt. Die beiden Prinzen Albert Kasimir und Clemens Wenzeslaus, die ihren gemeinsamen Hof im Pirnaischen Palais hatten, mussten in die Quarantäne des Schlosses, das von den Preußen überwacht wurde, und erlebten wie die ganze kurfürstliche Familie die auferzwungene Armut, denn Friedrich II. hatte die sächsischen Einkünfte des Hofes sperren lassen. Da die Zuwendungen aus dem Familieneinkommen bald ausgingen, verkaufte die Kurprinzessin Maria Antonia ihre Juwelen und ihr Porzellan und musste dann doch den Canossagang gehen, um Friedrich II. um ein Darlehen zu bitten. Die beiden Prinzen Albert Kasimir und Clemens Wenzeslaus erlebten den Geldmangel hautnah, da sie von der preußischen Verwaltung lediglich ein monatliches Taschengeld von 30 Talern bekamen. (Anm.:55) Das Leben auf engem Raum schweißte jedoch die Familie enger zusammen. Nach der Flucht des Kurfürsten nach Warschau widmet sich Maria Josepha wieder ganz der Familie und nach ihrem Tod 1757 übernahm der Kurprinz Friedrich Christian mit seiner Gattin Maria Antonia die Rolle des Familienoberhauptes. Weil es aber dem Kurprinzen gesundheitlich schlecht ging, wurde die künstlerisch begabte Maria Antonia immer mehr zum Mittelpunkt.

Im Spätsommer zogen sich die kaiserlichen Truppen zurück. 1759 vereinigten sich die österreichischen und russischen Heere und brachten den preußischen Truppen bei Kunersdorf am 12. August 1759 eine vernichtende Niederlage bei. Mit nur 3000 Soldaten floh Friedrich II. Doch weil sich Russen und Österreich über den weiteren Verlauf des Krieges nicht einigten, zogen sich die kaiserlichen Truppen nach Sachsen zurück. Auch Dresden wurde so befreit. In der Neustadt auf den Elbwiesen hatte die Reichsarmee ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Das war für die beiden Prinzen eine Gelegenheit, sich zur Musterung zu melden. Da sie aber eine Genehmigung des sächsischen Hofes nicht vorweisen konnten, wurden sie abgewiesen.

Wenige Tage später wendete sich die Situation, denn die preußischen Truppen hatten sich neu formiert und marschierten unter General Wunsch auf Dresden zu. Hastig floh der kurprinzliche Hof mit einigen Wagen in Richtung Pirna, um über die dortige Schiffsbrücke die Elbe zu überqueren und nach Böhmen zu gelangen. Die beiden Prinzen Albert Kasimir und Clemens Wenzeslaus ritten voraus, um in Pirna die Übersetzung vorzubereiten. Da sich die preußischen Truppen plötzlich zurückzogen, befahl ihnen der Kurprinz die Rückkehr. In einem Brief an ihn beschrieb Clemens Wenzeslaus, wie er in der Neustadt von Dresden die Führung durch die aufgestellten österreichischen schweren Kanonen erlebte. Er erwähnte auch das Spalier der kaiserlichen Truppen, durch das 1000 preußische Deserteure marschieren mussten. (Anm.:56) Drei Tage später war die kurfürstliche Familie in Dresden wieder zusammen. Doch nach dem Dankgottesdienst kam die Nachricht von der erneuten Rückkehr der Preußen.

Auf Anraten der Kaiserin Maria Theresia ließ der Kurprinz wieder die Wagen anspannen, um mit der ganzen Familie nach Prag zu fliehen. In einem Brief an ihren Bruder Franz Xaver beschrieb die Prinzessin Maria Elisabeth die bedrückende Situation der Flüchtlinge in Prag: "Der Wind wird mich mit nächsten zum Beth heraustragen; keine forhäng, kein Tisch, keine Kasten, nichts haben wir; heunt hab ich erst ein Beth bekommen, die andere Nächt hab ich müssen auf Stroh schlaffen....".(Anm.:57)

Clemen Wenzeslaus als kaiserlicher Offizier. Quelle: Wikipedia. Gemälde von Pietro Antonio Rotari  nach 1753.

Da kamen die beiden Prinzen Albert Kasimir und Clemens Wenzeslaus auf die Idee, sich als Freiwillige bei der kaiserlichen Armee zu bewerben. Offensichtlich hofften sie, vom kommandierenden General Daun die Erlaubnis zum Militärdienst auch ohne die vorherige Zustimmung des Hofes zu erhalten. Daun willigte grundsätzlich ein und lud sie zu sich ein, um ihnen die Vertreibung der letzten preußischen Truppen vorzuführen. In Begleitung von drei kaiserlichen Offizieren kamen die beiden Prinzen in der Morgenfrühe des 1. Oktober 1759 im Hauptquartier der kaiserlichen Armee in Rothschönberg an. Doch es kam nicht zum Kampf, da die Preußen über Nacht geflohen waren. Wieder bewarben sich die beiden Prinzen zum Eintritt in die österreichische Armee. Diesmal werden sie angenommen und mit Rücksicht auf ihre königliche Herkunft im Generalsrang in die Armee des Prinzen Karl von Lothringen eingegliedert.

Da die Truppen Winterquartier bezogen haben, nutzten die beiden neuen Generäle die Zeit zu einer Reise, gewissermaßen als Ersatz für die nicht stattgefundene Kavalierstour und folgten einer Einladung der Kaiserin Maria Theresia nach Wien. Um nicht die Familie bei späteren preußischen Attacken zu gefährden, mussten sie allerdings inkognito als Grafen von Meißen und Thüringen auftreten. Hier in Wien erlebten sie den trotz Krieg tanzenden kaiserlichen Hof mit seinen Festen, Konzerten und Schlittenfahrten. Prinz Albert Kasimir verliebte sich in Maria Christine, die Lieblingstochter der Kaiserin, während Clemens Wenzeslaus unter starkem Rheuma litt. Als die beiden Prinzen Ende Januar 1760 nach Warschau weiterfuhren, waren sie zwei Monate unterwegs, da Clemens Wenzeslaus wegen seiner Rheumaanfälle ständig Pausen einlegen musste. Der Besuch bei dem Vater dauerte ein viertel Jahr, dann fuhren die Prinzen nach Wien zurück. Hier wurden sie von Maria Theresia in deren Familienleben in der kaiserlichen Residenz Laxenburg integriert. Nach zwei völlig unbeschwerten Wochen meldeten sich die Prinzen bei ihrer Armeeeinheit.

Kaiserin Maria Theresia im Schloss Schönbrunn im Kreise ihrer Familie. Ihr Mann Franz Ferdinand von Lothringen sitzt links im Bild. Gemälde um 1754 von Martin van Meytens (1695-1770). Die Bilddatei ist gemeinfrei, da die urheberische Schutzfrist abgelaufen ist.

Clemens Wenzeslaus erlebte nun den Krieg mit allen seinen Schrecken. Als Friedrich II. am 19. Juli 1760 Dresden beschießen lässt, musste Clemens Wenzeslaus ohnmächtig zusehen, wie die "Sächsische Herrlichkeit" durch ein Großfeuer zerstört wurde. In der Winterpause 1961 fuhren die beiden Prinzen wieder nach Wien. Clemens Wenzeslaus erlitt jedoch neue rheumatische Schübe, bekam außerdem Scharlach und kam durch hohes Fieber in Lebensgefahr. Wenige Tage nach dem Tod des 16jährigen Prinzen Karl, Lieblingssohn der Kaiserin, erhielt Clemens Wenzeslaus durch den Abt des Wiener Schottenklosters die Sterbesakramente. Aber im Februar begann er sich erstaunlich gut und schnell zu erholen. Während der langen Krankheit reifte in ihm der Entschluss, "sein künftiges Leben in den Dienst der Kirche zu stellen." (Anm.:58)

Nuntius Visconti schrieb dem päpstlichen Kardinalsstaatssekretär, "daß alles, was er von dem Prinzen wisse und erfahren habe, zu den besten Hoffnungen berechtige, und daß er ‚un degnissimo ecclesiastico' abgeben werde." (Anm.:59) Der Kölner Nuntius Lucini erwähnte später, dass Clemens Wenzeslaus "während seiner Krankheit in Wien erkannt habe, Gott habe ihn zu seinem Dienst berufen". (Anm.:60)

Heribert Raab war der festen Überzeugung, dass auf Clemens Wenzeslaus bei seiner Entscheidung zum kirchlichen Amt kein Druck von außen ausgeübt wurde, da die Mitglieder seiner Familie, die Druck ausüben gekonnt hätten, alle nicht in Wien waren, als Clemens Wenzeslaus auf seinem Sterbelager lag. (Anm.:61) Es ist eindeutig bezeugt, dass der Vater, Friedrich August, seinen Söhnen völlige Freiheit bei der Berufswahl gelassen hatte. Als Clemens Wenzeslaus 1761 bei seinem Besuch in Warschau, mit seinem Vater über die eigenen Pläne lange sprach, gab es keinerlei Differenzen. Ohne Zweifel war Clemens Wenzeslaus kein geborener Soldat. "Die Notwendigkeit des Krieges und des Kräftemessens, die von den meisten seiner Zeitgenossen bejaht wurde, hat er nie anerkannt. Rohe Gewalt und jene Härte, die nun einmal zum Kriegshandwerk gehört, waren ihm verhasst. Sein Bestreben war vielmehr immer darauf gerichtet, Differenzen auf gütlichem Weg beizulegen. Seine ganze Natur, seine körperliche Konstitution, Charakter und Erziehung wiesen ihn nicht in eine militärische Laufbahn." (Anm.:62)

Durch seine Eltern und seine jesuitischen Lehrer, die auch seine Beichtväter waren, war Clemens Wenzeslaus in einer intensiven Atmosphäre katholischer Frömmigkeit groß geworden. Zur Katholischen Kirche, ihrer Liturgie, ihrer hierarchischen Ordnung und ihrer Bindung an den Papst, ihrem volksnahen Brauchtum und ihrer emotionalen Marienverehrung, vor allem ihrer Nähe zu Barock und Lebensfreude hatte er eine ganz natürliche Beziehung. Er war nie in der Versuchung, sich von der Katholischen Kirche zu entfernen. Aus seiner humanistischen Erziehung konnte er die Meinung der Anderen respektieren, soweit ihm dies möglich war.

Clemens Wenzeslaus, königlicher Prinz von Polen und Sachsen. Aus Anlass seiner Primiz 1. Mai 1764 gemaltes Bild - Quelle: Wikimedia Commons

Später - nach der Priesterweihe - las er fast täglich "die Heilige Messe und widmete mehrere Stunden des Tages dem Gebet, der Betrachtung und geistlichen Lesungen. Natürliche Frömmigkeit und Herzensgüte zeichneten ihn aus; auch nach dem Urteil zahlreicher Zeitgenossen - selbst seiner Feinde - war er ein ‚gar frommer und bescheidener Herr', ein Bischof von ‚fast unerhörter Gottesfurcht', aber zugleich von ‚unglaublicher Majestät', wenn er ein feierliches Hochamt sang, Kirchen und Altäre konsekrierte oder bei der Fronleichnamsprozession in Koblenz oder Augsburg das Allerheiligste trug." (Anm.:63)

Die Kriegserfahrung als Jugendlicher und Offizier hatte aber auf Clemens Wenzeslaus noch eine andere Wirkung. Den Preußenkönig erlebte er nicht nur als feindlichen Usurpator sondern auch als Beschützer des evangelischen Glaubens. Vor dem ersten schlesischen Krieg verpflichtete dieser zum Gebet für ein glückliches Ende des "zur Erhaltung der Wohlfahrt des Deutschen Reiches und zum Besten der bedrängten evangelischen Kirche unternommenen Feldzugs." (Anm.:64) In dieser Rolle betrieb der eigentlich freidenkerische Friedrich II. sehr konkrete Politik, als er sich für die Auflösung der geistlichen Landesherrschaften von Kurköln und Kurmainz einsetzte und deren Eingliederung in protestantischen Landesherrschaften vorschlug. Zu dieser evangelisch orientierten Machtpolitik gehörte auch der Versuch, das Bistum Mainz zu entmachten und so war es nicht verwunderlich, dass es Clemens Wenzeslaus innerlich reizte, sich nun mit "geistlichen Waffen" in die Verteidigungsallianz der katholischen Welt einzusetzen. (Anm.:65)



Anmerkungen





5. Der steinige Weg zum Bischofsamt


Um den weiteren Lebensweg von Clemens Wenzeslaus zu verstehen, bedarf es zunächst eines kurzen Blickes auf die damalige Ordnung der katholischen Kirche in Deutschland. "Die politische und kirchlich folgenschwerste Eigentümlichkeit der aus einer Notsituation geborenen Reichskirche ist darin zu sehen, daß ihre Bischöfe durch Jahrhunderte hindurch Würdenträger der Hierarchie und zugleich Reichsfürsten gewesen sind, daß sie geistlich-kirchliche und weltlich staatliche Gewalt in ihrer Hand vereinigt haben", so beschreibt der Historiker Heribert Raab das Geistliche Fürstentum. (Anm.:66)

Nach der Reformation war dieses System der geistlichen Landesherren für die Erz- und Hochstifte in der katholisch gebliebenen Reichskirche beibehalten worden. Aber die personale Besetzung der höheren Ämter wurde geändert. Dem Vatikan blieb zwar das Recht der Prüfung und Anerkennung, aber für die Neubesetzung waren (von Ausnahmen abgesehen) die Kapitel zuständig; für das Bischofsamt war es das jeweilige Domkapitel, das in geheimer Wahl (bei mehreren Kandidaten) oder durch Proklamation (bei vorheriger Einigung) den neuen Bischof kürte (Anm.:67). Als Kandidaten kamen in der Regel nur Mitglieder des Adels infrage, da auch die Kapitel fest in der Hand des Adels lagen. Oft war es eine sehr grundsätzliche Entscheidung, ob Kandidaten "ex gremio", also aus den eigenen Reihen, oder "extra gremium", also von außerhalb, zugelassen wurden. Die Einwilligung des Vatikans wurde durch ein päpstliches Breve, vor der Wahl ausgesprochen oder zugesagt, eingeholt.

Die römisch - katholische Kirche war innerkirchlich durch das Trienter Konzil (Anm.:68) [DK29] reformiert worden. Vorgeschrieben war für Bischöfe ein Mindestalter von 27 Jahren, wenigstens die Subdiakonatsweihe und ein theologischer Grad (Doktor oder Magister). Die Kumulation (mehrere Ämter in einer Hand) war verboten, der Zölibat wurde verlangt, ebenso die Residenzpflicht und in der Regel auch die vorherige Mitgliedschaft in einem Domkapitel. Aber die Beschlüsse des Konzils wurden bis zur Säkularisation durch die Möglichkeit einer Päpstlichen Ausnahmegenehmigung (Breve eligibilitatis) unterlaufen.

Breve von Papst Pius II. 1463 (Ausschnitt). Das päpstliche Breve war ein Kurzbrief der Päpste. Quelle: Wikimedia Commons

Für den Vatikan waren diese Breven ein wichtiges Finanzierungsinstrument und keinesfalls eine Ausnahme und durch die Kumulationen konnte die eigentlich verlangte Residenzpflicht oft gar nicht wahrgenommen werden. Auch war es möglich, aus subjektiven Gründen (z.B. Verantwortung für die eigene Familie) im Laienstand zu bleiben bzw. nur die so genannten Niederen Weihen anzustreben, denn in diesem Fall war auch der Zölibat nicht verpflichtend. Ein System von Vertretern (Weihbischöfe und Koadjutoren für die sakral-kirchlichen Aufgaben, Generalvikare und Offiziale für das Staatswesen) garantierte den reibungslosen Ablauf auch bei Abwesenheit des Amtsinhabers.

Nach der Wahl durch das Kapitel übergab ein kaiserlicher Kommissar mit den so genannten Regalien die Vollmacht zur Ausübung der politischen Macht (Landesherrschaft), durch die Päpstliche Konfirmation (Anm.:69) wurde der Gewählte zu den geistlichen Vollmachten befähigt, die durch die Weihe oder Inthronisation dann lebenslang übertragen wurden. Falls der Gewählte nicht zum Klerus gehörte bzw. nicht gehören wollte, erhielt er gleichzeitig einen geistlichen Koadjutor für die kultisch-sakralen Aufgaben an seine Seite. Für die gewählten oder vorgeschlagenen minderjährigen Kandidaten wurde oft ein Administrator in spiritualibus et temporalibus (Anm.:70) eingesetzt.

Als Mitglied des Hochadels hatte Clemens Wenzeslaus das verbürgte Vorrecht, in diesem hierarchischen System Karriere zu machen. Die Familie sah es als eine wesentliche Aufgabe, die berufliche Integration und damit auch die materielle Versorgung des jungen Prinzen zu fördern. Dazu wurden alle Beziehungen, materielle Mittel und die politischen Situationen ausgenutzt. Clemens Wenzeslaus hatte so die Unterstützung des französischen Hofes, des Wiener Kaiserhauses, des bayerischen (Wittelsbacher) und natürlich des Sächsischen Kurfürsten hinter sich. Persönlich hatte er aufgrund seiner königlichen Abstammung die gesellschaftliche Voraussetzung für alle höheren kirchlichen Ämter; durch seine Ausbildung waren alle rechtlichen Voraussetzungen hinreichend erfüllt bzw. konnten durch päpstliche Dispensen ergänzt werden. (Anm.:71)

Nach seiner grundsätzlichen Entscheidung für ein kirchliches Amt, entschloss sich Clemens Wenzeslaus von Anfang an, die Priesterweihe anzustreben und ein priesterliches Leben zu führen. Dies bedeutete für ihn das Halten des lebenslangen Zölibates, das regelmäßige Breviergebet, die tägliche Messe, ein klerikales Leben, die Unterstellung unter den Papst und die Einhaltung des gesamten katholischen Regelwerkes. Damit stellte er sich an die Spitze der katholischen Kirche im Deutschen Reich, die durch die Kunst des Barock und die Pflege der Volksfrömmigkeit das irdische Leben in diesem "Jammertal" erleichtern wollte. Anfang Mai 1761 reiste Clemens Wenzeslaus nach Warschau, um sich auf den Empfang der Tonsur und die Niederen Weihen vorzubereiten. Am 26. Mai 1761 empfing er durch den päpstlichen Nuntius Visconti in der königlichen Hauskapelle zu Warschau die Tonsur und wurde damit in den Klerikerstand aufgenommen. (Anm.:72)

Anfang 1761 war Clemens August, der Kurfürst von Köln (Anm.:73), bei einer Reise nach München unverhofft im kurtrierischen Schloss zu Ehrenbreitstein gestorben. Seit 1583 waren nur bayerische Wittelsbacher Prinzen vom Domkapitel zum Kölner Kurfürsten gewählt worden. Mit Ernst von Bayern war es den Wittelsbachern gelungen, die Gefahr eines protestantischen Kölner Kurstaates endgültig zu bannen. Der Vatikan unterstützte diese "Katholisierung des Norden" durch Einrichtung einer Nuntiatur in Köln. Da es der gegenwärtigen Wittelsbacher Politik entsprach, den Einfluss auf wenigstens eines der drei geistlichen Kurwürden zu behalten, war es nicht verwunderlich, dass Clemens Wenzeslaus als Kandidat für den Kölner Kurfürstenstuhl ins Gespräch kam. Doch das Kölner Domkapitel entschied sich nicht für ihn, sondern für den amtierenden Domdechanten, also "ex gremio", vielleicht auch, weil man in Köln einer Verwicklung in den Siebenjährigen Krieg entgehen wollte.

Auch der nächste Versuch auf den altehrwürdigen Bischofssitz Münster misslang. Als nächste Chance boten sich die vakanten und von der Säkularisation bedrohten Fürstbistümer Paderborn und Hildesheim an. (Anm.:74) In diesem Zusammenhang kam es auch zu einem ersten Kontakt zum Kurfürstentum Trier, da sich der Trierer Kurfürst von Walderhoff ebenfalls um das Fürstbistum Hildesheim beworben hatte. (Anm.:75) In dem geheimen Vertrag von Engers verzichtete Walderhoff auf seine Kandidatur in Hildesheim und sagte Clemens Wenzeslaus seine Unterstützung zu. Durch hohe Geldsummen von Sachsen sah Walderhoff eine Chance, die finanzielle Notsituation in Trier zu verbessern. Doch wie in den anderen vakanten Bistümern fiel auch hier die Entscheidung für einen Kandidaten "ex gremio", und zwar aus dem familiären Umfeld des westfälischen Kapitels.

Für Clemens Wenzeslaus waren diese vergeblichen Bemühungen sehr entmutigend. Dazu kam sein schlechter Gesundheitszustand, denn er hatte ständig erhebliche rheumatische Schmerzen. Deshalb reiste er im Juli 1761 zu einer Kur nach Aachen, begleitet von zwei sächsischen Offizieren, seinem Leibarzt und seinem Beichtvater. Unterwegs besuchte er den Fürstbischof von Würzburg und den Kölner Nuntius Archinto, um sie für seine beruflichen Bemühungen zu gewinnen. Das vom Krieg heimgesuchte Aachen bot wenig Abwechslung. Clemens Wenzeslaus nutzte deshalb die Zeit für intensive Kontakte. Aber als ihm der Lütticher Fürstbischof Karl Theodor die Audienz verweigerte, erlebte er die Widerstände gegen seine Bemühungen hautnah.

Anfang Oktober folgte Clemens Wenzeslaus einer Einladung seiner Schwester Maria Josepha, die er als Siebenjähriger das letzte Mal gesehen hatte, nach Versailles. Weil Maria Josepha Sorge hatte, ihr junger Bruder könne in der Eleganz des französischen Hofes negativ auffallen, musste Clemens Wenzeslaus unter dem Pseudonym eines Grafen von Meißen in klerikaler Kleidung auftreten und durfte nicht an der königlichen Tafel Platz nehmen. Aber die Befürchtungen waren unbegründet, Clemens Wenzeslaus lebte sich ganz schnell in das höfische Leben ein und erwarb sich profunde Kenntnisse über die Sehenswürdigkeiten und Kunstschätze der französischen Metropole. Er gewann sogar die Freundschaft des Dauphins und die Sympathie des französischen Königs Ludwig XV. Diese Erfahrungen in Versailles waren für Clemens Wenzeslaus ein wichtiger Wendepunkt in seinem Leben. In seinem Inneren fühlte er sich getragen durch seine Familie und wurde in seinem Selbstwertgefühl gestärkt. Er spürte aber auch, dass die Bindung an die (katholische) Kirche für ihn seine Berufung sei, und er diesen Weg auch unter Schwierigkeiten unbedingt weitergehen müsse.

Bereits Anfang 1763 unternahm Clemens Wenzeslaus einen neuen Versuch und kandidierte für den vakant gewordenen Lütticher Bischofsstuhl. Das Fürstbistum Lüttich war durch die Gegenreformation rekatholisiert worden. Allerdings hatte der verstorbene Lütticher Kardinalfürstbischof Karl Theodor (Anm.:76), der letzte Sohn des Bayerischen Kurfürsten Max Emanuel, durch seinen unsoliden Lebenswandel die Wittelsbacher und die ganze Katholische Kirche in Deutschland in Verruf gebracht. Aber wegen Stimmengleichheit bei der Wahl durch das Lütticher Domkapitel fiel das Besetzungsrecht an den Papst Clemens XIII. und dieser entschied sich für den Gegenkandidaten. Doch bevor die Entscheidung des Päpstlichen Breve eintraf, öffnete sich bereits eine andere Tür, da die Fürstbistümer Freising und Regensburg ebenfalls vakant wurden.

"Freising zählte zu den kleinsten und unbedeutendsten deutschen Fürstbistümern obwohl der kirchliche Herrschaftsbereich des Bischofs fast dem Umfang der heutigen Diözese München entsprach." (Anm.:77) 180 Jahre hatten die bayerischen Wittelsbacher, die das Hochstift nur "unsere Pfarr" nannten, in Freising regiert und waren dem bayerischen Kurfürsten voll ergeben. Der Kurfürst Max Joseph zog alle Register seiner Beziehungen, um seinen Schwager Clemens Wenzeslaus als Kandidaten zu empfehlen. Die Domherren des Freisinger Hochstiftes stimmten auch der Kandidatur von Clemens Wenzeslaus zu, empfahlen aber diesem, sich parallel um das Bistum Regensburg zu bewerben, da die Einkünfte des Freisinger Hochstiftes kaum ausreichten, um den Hof eines Königlichen Prinzen zu finanzieren. (Anm.:78)

Auch bei den Domherren des Regensburger Kapitels zeigte sich Bereitschaft, ihre Stimmen für Clemens Wenzeslaus zu geben. Der Einfluss des königlichen Vaters, der Kaiserin und der Geschwister in München und Paris zeigte Wirkung und die positive Beurteilung durch die Nuntien in München und Wien sicherte die Päpstliche Zustimmung. Der Warschauer Nuntius Visconti hatte Clemens Wenzeslaus ein glänzendes Zeugnis über seine "Frömmigkeit und seine echt priesterliche Gesinnung" ausgestellt und ihm schon vor einiger Zeit bescheinigt, er wollte "im Unterschied zu der Praxis geistlicher Fürsten die Tonsur und die Niederen Weihen empfangen." (Anm.:79) In Freising wurden nun ganz schnell Fakten geschaffen. Mitte Februar 1763 teilte Clemens Wenzeslaus vom Krankenlager in München dem Freisinger Domkapitel mit, dass er die Kandidatur annehme und ein Päpstliches Breve über seine Wählbarkeit für Freising und Lüttich vorläge. So wählte das Freisinger Domkapitel am 18. April 1763 einstimmig mit allen 14 Stimmen Clemens Wenzeslaus zum Fürstbischof von Freising. Bereits um sieben Uhr morgens waren die Stadttore geschlossen und die Bürger aufgerufen worden, sich auf dem Domplatz zu versammeln. Nach dem Hochamt fand die geheime Wahl im Kapitelsaal statt, anschließend verkündete der Notar Indobler, begleitet von den Äbten von Ettal und Weihensstephan, im Dom das Wahlergebnis und alle sangen das TeDeum. (Anm.:80

Doch wie unsicher und schwankend Clemens Wenzeslaus in seinen Entscheidungen war, zeigte sich nun bei seiner erneuten Bewerbung und zwar diesmal um Augsburg. Zu dem Augsburger Fürstbischof Joseph hatte Clemens Wenzeslaus eine persönliche Beziehung. So lag dem ziemlich kranken Fürstbischof nahe, Clemens Wenzeslaus zu seinem Nachfolger aufzubauen. Der Weg dazu war die Ernennung zum Koadjutor mit Nachfolgerecht. Obwohl die Würfel für die Kombination Freising / Regensburg gefallen waren und die Bewerbung für das Bistum Lüttich keinesfalls aussichtslos war, ließ sich Clemens Wenzeslaus durch den Augsburger Fürstbischof Joseph beeinflussen, dessen Nachfolge anzustreben und dann eventuell auf Regensburg zu verzichten. (Anm.:81 Obwohl der bayerische Kurfürst Max Joseph erhebliche Bedenken hatte, ob der Clemens Wenzeslaus mit seinen 24 Jahren dieser Aufgabenbreite gewachsen sei, setzte sich Clemens Wenzeslaus durch.

Kurfürstliche Residenz Augsburg. Quelle: Wikimedia

Zum Bistum Augsburg gehörte als Landesherrschaft das Hochstift Augsburg, das sich wie ein Schlauch südlich von der Freien Reichsstadt Augsburg bis zur Tiroler Grenze erstreckte und etwa 100.000 "Landeskinder" hatte. Bereits im 15. Jahrhundert war die Hauptresidenz des Hochstiftes nach Dillingen verlegt und hier 1549 eine Universität gegründet worden, die unter Leitung der Jesuiten zum Zentrum der Gegenreformation wurde. Das wesentlich größere Bistum umfasste neben dem Hochstift zusätzlich bayerisches, österreichisches und württembergisches Gebiet, weshalb der Augsburger Bischof sein Amt nur in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Wittelsbachern (München) und den Habsburgern (Wien) ausüben konnte. In fünf Städten standen dem Augsburger Bischof attraktive Bischofshöfe zur Verfügung.

Noch vor der Wahl in Freising ging Anfang April 1763 ein Päpstliches Breve ein, in dem Papst Clemens XIII grundsätzlich zustimmte, dass Clemens Wenzeslaus sich als Koadjutor des Augsburger Fürstbischofs bewerbe. Das Breve machte aber den Vorbehalt, dass Clemens Wenzeslaus langfristig neben Augsburg nur ein weiteres Bistum besetzen dürfe. In dieser ziemlich verworrenen Situation zeigte sich Clemens Wenzeslaus weiterhin unsicher und unentschlossen. Da in Lüttich die Bischofswahl noch nicht entschieden war, wollte er Zeit gewinnen und bat den Papst um Verlängerung der dreimonatigen Entscheidungsfrist. (Anm.:82) Die päpstliche Sondergenehmigung wurde gegeben, doch die Regensburger Domherren übten Druck aus und wählten am 24. April 1963 mit Stimmenmehrheit Clemens Wenzeslaus zum Fürstbischof von Regensburg.

Clemens Wenzeslaus war unterdessen in finanzielle Schwierigkeiten gekommen, denn das Leben in Lüttich war teuer und seit Februar hatte er vom Sächsischen Hof keine Zahlung mehr erhalten. Die beiden Schwestern, die Kurfürstin in München und die Dauphine in Paris, sahen sich nicht imstande, ihren Bruder weiter zu unterstützen. Auch von dem Freisinger Domherrn Franz von Hornstein, den das Domkapitel als Berater nach Lüttich geschickt hatte, war keine finanzielle Hilfe zu erwarten, zumal Clemens Wenzeslaus zu diesem ein gespanntes Verhältnis hatte, da er die Reise nach Freising ständig hinausschob. Nach einer eindringlichen Ermahnung des Bayerischen Kurfürsten Max Joseph verließ Clemens Wenzeslaus - überstürzt und ohne Gepäck - Lüttich in der Morgenfrühe des 28. August und fuhr nach Freising, um von dem Fürstbistum Besitz zu ergreifen. (Anm.:83)

In Freising bekam Clemens Wenzeslaus wegen seiner Jugend einen Koadministrator an die Seite und wurde am 12. September 1763 inthronisiert. Nun strebte Clemens Wenzeslaus als erstes die Priesterweihe an. Am 21. September 1763 empfing er in Freising durch den Weihbischof Werdenstein die Niederen Weihen und die Subdiakonatsweihe. Am 5. Oktober 1763 starb sein Vater und zwei Monate später sein Bruder Friedrich Christian. Clemens Wenzeslaus nahm sich jetzt Zeit für theologische Studien und führte ein ziemlich zurückgezogenes Leben. Mitte April 1764 unterzog er sich den achttägigen Exerzitien. Da Kaiser Franz in Straubing weilte, unterbrach er die Vorbereitungen auf die Priesterweihe und reiste mit dem bayerischen Kurfürsten nach Straubing, um ihn um Unterstützung der Augsburger Pläne zu gewinnen. Sowohl die hartnäckigen Bemühungen um den Bischofssitz von Lüttich wie jetzt um die der Augsburger Koadjutorie (die ja später zum Bistumsbesitz geführt hätte) hatten den Hintergrund, für Clemens Wenzeslaus und seinen Hof ein gesichertes Einkommen zu gewinnen. Frömmigkeit und irdische Ziele waren keineswegs ein Gegensatz. Anschließend wurde Clemens Wenzeslaus in München durch den Augsburger Fürstbischof Franz Joseph zum Priester geweiht und feierte am 1. Mai 1764 in der Münchener Jesuitenkirche seine Primiz. Der ganze kurfürstliche Hof war anwesend und viele Menschen hatten sich außerhalb der Kirche versammelt. (Anm.:84)

Im Juni 1764 erfolgte die Amtseinführung als Bischof von Regensburg. Dies motivierte die 40 Herren des Augsburger Domkapitels die Wahl von Clemens Wenzeslaus zum Koadjutor des Fürstbischofs von Augsburg am 5. November 1764 durchzuziehen. Die feierlich gestaltete Wahl wurde wie eine Bischofsweihe gestaltet. Um 7 Uhr begann der Wahlakt mit der Messe De Spiritu Sancto und dem Hymnus Veni Creator. Anschließend erfolgte der eigentliche Wahlakt im Kapitelsaal. In Abwesenheit wurde Clemens Wenzeslaus zum Koadjutor des Fürstbistums Augsburg gewählt. Erst nach vier Jahren - nach dem Tode des Bischofs Joseph und bereits zum Kurfürsten von Trier gewählt - übernahm Clemens Wenzeslaus allerdings die geistliche und weltliche Leitung des Hochstiftes Augsburg.

Die ersten größeren Amtshandlungen von Clemens Wenzeslaus wurden die Hochzeiten von Kaiser Joseph II. mit Marie Josepha von Bayern und des Kronprinzen Leopold mit der spanischen Infantin Marie Luise. Bei den Gesprächen nach der Trauung sagten Kaiser und Kaiserin Clemens Wenzeslaus zu, ihn bei seinen Bewerbungen zu unterstützen. Clemens Wenzeslaus war in dieser Zeit ständig unterwegs. Kraus bemerkt zu Recht: "Man sieht nicht, wie der Prinz Zeit gefunden habe, sich auf seine geistlichen Obliegenheiten vorzubereiten: er ist um jene Zeit fortwährend auf Reisen und Besuchen an den verwandten Höfen zu Wien, Paris, München, Dresden." (Anm.:85)

Dies dürfte auch der Grund sein, warum Clemens Wenzeslaus keinen akademischen Grad erringen konnte und deshalb vor seiner Ernennung für den Bischofsstuhl Freising eine Dispens "super defectu gradus doctoratus ac Presbyteratus" (Anm.:86) vom Wiener Nuntius einholen musste. Allerdings bescheinigten ihm später seine Mitarbeiter "gründliche Kenntnisse in der Moraltheologie und im Kanonischen Recht." (Anm.:87)

Am 10. August 1766 erfolgte die Bischofsweihe in Freising. Damit war die klerikale Integration in die katholische Hierarchie vollzogen.

Über die Bischofsweihe in Freising gibt es einen Augenzeugenbericht des Freisinger Hofkavaliers Ferdinand Wilhelm Freiherr von Bugniet des Croisettes vom 10. August 1766. (Anm.:88) Der Bericht beginnt mit Lobpreisungen auf das Ereignis mit blumenreichen Worten: "Hat Freysing nicht Ursach genug, mit seinem gnädigsten Lands-Herrn Groß zuthun, die Empfindungen seiner ausserordentlichen Freude zu äusseren, und sich vor vielen anderen Länderns vollkommen glückseelig zu schätzen. Ein sicheres Zeugniß seiner zärtlichsten Freude legte Freysing den 10.ten August-Monat ab; ein seltener Jubel, und Frohlocken hat die ganze Stadt belebet, da selber das Beneydenswürdige Glücke wiederfahren, so viele höchste Gäste in ihren Mauren zu bewürden, welche der feyerlichsten Weyhung St. Königl. Hoheit unsers gnädigsten Herrn beyzuwohnen, und diese heilige und höchst ansehnliche Handlung mit der höchsten Gegenwart noch ansehnlicher zu machen gnädigst ruheten."

Der Freiherr berichtet dann, dass Clemens Wenceslaus bereits am 2. August in Altötting "das Heil. Meß-Opfer verrichtet" habe und am nächsten Tag in Freysing eintraf. Am 8. August versammelte sich das Freisinger Domkapitel, um den neuen Domdechanten zu wählen. Anschließend informierten die beiden Domherren Baron Egher und Graf Trauner "Ihro Königl. Hoheit" über die Wahl und erfuhren dero "gnädigste Zufriedenheit" und "darzu Dero Höchste Begnehmigung". Zu gleicher Zeit wurden zwei Regensburger Domherren zu Clemens Wenzeslaus begleitet, um die Glückwünsche des Regensburger Domkapitels zu überbringen. Durch den Stadtpfleger wurde die "gesammte Burgerschaft zu Pferdt; und zu Fuß aufgezogen, und wurde die Cavallerie außerhalb dem Zollhaus auf denen Aengerns vor dem Münchner-Thor postiret", um den Augsburger Bischof Joseph zu begrüßen. "Die auf dem Platz mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel paradirende Infanterie machte drey Salve." Nach einem Essen begaben sich Bischof Joseph und Clemens Wenzeslaus in die Hochfürstliche Residenz, die eigens neu möbliert worden war. Dann begaben "sich beed gnädigsten Herren zu Ruhe."

Am Morgen des 9. August 1766, es war ein Samstag, empfing Clemens Wenzeslaus die Abordnungen der Domkapitel von Freising und Regensburg. Danach holte er Bischof Joseph ab, zeigte diesem Dom und Domschatzkammer, und speiste mit ihm zu Mittag. Für Nachmittag sollte für Freising nochmals "eine Glücks-Sonne aufgehen", denn "das Durchlauchtigste Chur-Haus Bayrn" war angekündigt. Zur würdigen Begrüßung wurde diesmal die gesamte Bürgerschaft durch ein "Cavallerie-Corps mit Trompeten, Paucken und Estandardt von einem Rittmeister geführet". "Bis zu der Ankunft der Chur-Bayrischen höchsten Herrschaften wurde in den Zimmeren Ihro Hochfürstl. Durchlaucht Bischoffen von Augspurg gespielet." Gegen 7 Uhr abends wird der Bayerische Kurfürst mit seiner Begleitung von einer Abordnung an der Grenze begrüßt, in die Stadt geführt und mit 50 Kanonenschüssen der aufgestellten Kavallerie und drei Salven der Bürgerwehr empfangen. Nach einer ersten Begegnung mit allen angereisten Gästen war die Abendtafel hergerichtet.

Am nächsten Tag, es war Sonntag, der 10. August 1766, zog Clemens Wenzeslaus um 9 Uhr mit den Konsekratoren, Bischof Joseph und zwei Weihbischöfen, in feierlicher Prozession durch ein langes Spalier zum Dom. Hier standen die Domkapitel von Freising und Augsburg zum Empfang bereit. Clemens Wenzeslaus wurde Weihwasser zur Bekreuzigung gereicht und mit einem Tragekreuz wurde die Weiheprozession zum Tabernakel geführt und von hier aus zum Altar. Nun verlas der Notar Erdmann die Päpstlichen Dokumente: In einer Bulle hatte Papst Clemens XIII. die Wahl des neu gewählten Bischofs Clemens Wenzeslaus bestätigt und in der "Dispensatione aetatis" vom eigentlich erforderlichen Mindestalter dispensiert. Dann begann das Hochamt. Die Kurfürstlichen Durchlauchten aus München hatten auf den beiden Fürstenemporen Platz genommen und wohnten der dreistündigen Zeremonie bei.

"Was vor Freuden-volle Thränen bey dieser Handlung vergossen worden, ist nicht zu beschreiben, besonders da Beed diese Hohe Priester das Heil. Abendmahl samt dem Heil. Blut getheilet, der neu Consecrierte Bischof nach vollendten Hoch-Amt den Bischöflichen Segen allen anwesenden in Herabtretung von dem Hoch-Altar in der ganzen Kirchen herumgehend, und auf der Evangelii-Seiten zurückkomend auf mildseeligste Weis ertheilet. Unter angestimt-Ambrosianischen Lob-Gesang wurden von der Burgerlichen Infanterie drey Salve mehrmalen gegeben, nach jed-welchen 20. Kanonen-Schüße abgelöset wurden." Nach den Glückwünschen im Bischöflichen Apartment begann um 2 Uhr das Mittagmahl "mit Paucken und Trompeten". Die Chronik benennt eine große Tafel in Form eines Hufeisens mit 120 Plätzen, einen Speisesaal mit 35 Plätzen und außerdem 6 andere Tafeln für "die übrige Gäste und Hofstaat". Nach einem Coffée zog die ganze Festgesellschaft in den Hofgarten zur Aufführung der Kantate "Frohlockende Religion" des Sächsischen Kapellmeisters Andreas von Camerlocher. Nach der Aufführung zog eine ausgewählte Festgesellschaft durch die illuminierte Stadt in die Hochfürstliche Residenz zum Dinner.

Am nächsten Tag gab es eine Kammermusik. Nach dem Mittagessen für 85 Gäste zog die Festgesellschaft über die Isar zu einer Hetzjagd. Von dem zweistöckigen Jagdstand aus wurden 68 Hirsche und 31 Stück anderes Wild erlegt. Anschließend konnten sich die Gäste bis zum Dinner an Spieltischen amüsieren. Anschließend erlebte man von den Fenstern aus ein Serenadenkonzert auf dem Vorplatz. Die Festlichkeit wurde am Dienstag mit der Aufführung der Lateinischen Oper MAGNUM AARONIS SACERDOTIUM im Hof des Lyzeums der Benediktiner beendet. "Nachdeme hierauf das Mittagmahl eingenohmen worden, so reiseten die Höchste Herrschaften unter Abfeurung der Kanonen nach zärtlichst genohmenden Abschied, und bezeigt vollkommenster Zufriedenheit über Dero Aufenthalt allhier, dann die Ausnehmende Sorgfalt Sr. Königl. Hoheit Dieselbe auf das Beste zu bewürthen, nachher Nymphenburg ab." Den Abend nutzten Clemens Wenzeslaus und Bischof Joseph zu einem Spiel.

Am Mittwoch früh las Bischof Joseph in seinem Zimmer die Heilige Messe, wie er es auch sonst immer hielt, und reiste gegen 14 Uhr mit seinem Gefolge ab. Die nächsten beiden Tage waren gefüllt mit Begegnungen mit den unterschiedlichen Organen des Bistums.

Der Bericht schließt: "Allein wer sollte einen Lieb-vollist-Gnädigsten Fürsten und Herrn zu Verherrlichung einer solchen Begängnuß nicht alle Kräfte wiedmen, deme der Himmel selbst mit denen schönsten Tägen zu seinen Vergnügen beygestanden, damit alles erreichen konnte einen in unsern Herzen niemals vergeßlichen Anfang, und in best und schönster Ordnung, mit getröster Zufriedenheit erhaltenes Ende."

Der Augenzeugenbericht des Freisinger Hofcavaliers über die Bischofsweihe von Clemens Wenzeslaus zeigt sehr anschaulich, wie sehr dieser ständig mit der "strukturellen Schizophrenie" von persönlicher Frömmigkeit und gesellschaftlich garantierter Privilegienexistenz zu kämpfen hatte. Auf der einen Seite wollte er ein frommer Mann der katholischen Kirche sein und bescheiden priesterlich leben, auf der anderen Seite war er als Königliche Hoheit in das Netz von politischen Machtinteressen und Privilegien unauslösbar eingebunden.

Unterdessen hatte sich der Gesundheitszustand des Trierer Kurfürsten Johann Philipp von Walderdorff radikal verschlechtert. Deshalb beschleunigte sich im Kurfürstentum Trier die Suche um einen Koadjutor mit Nachfolgerecht, um beim Tod des Kurfürsten einen reibungslosen Übergang zu ermöglichen. Es gab drei aussichtsreiche Kandidaten. (Anm.:89) An der ersten Stelle stand der Domdechant Franz Karl Boos, Günstling des Kurfürsten und wohl der mächtigste Mann im Kurfürstentum. Aber Boos hatte einen "Flecken am Kleid": er lebte in der Ehrenbreitsteiner Dechanei mit einer Konkubine zusammen und hatte mit dieser 7 Kinder. Boos war gefürchtet und geldgierig. Im Vatikan und am Wiener Hof sprach man vom "Ungeheuer in Ehrenbreitstein".

Der zweite Kandidat war der Trierer Dompropst Karl Ernst von Breidbach - Bürresheim. Er hatte die Unterstützung seines Bruders, des Mainzer Kurfürsten, und war in den vatikanischen Kreisen beliebt. Aber seine herrische Art und seine Ablehnung des Kaiserhauses sprachen auch gegen ihn.

Der dritte Kandidat war Clemens Wenzeslaus als einer "extra gremium" - also von außerhalb. Da verzichtete Boos - wohl aus taktischen Gründen - auf seine Kandidatur und stellte sich hinter die Bewerbung von Clemens Wenzeslaus. Er will für ihn die Mehrheit der Stimmen im Domkapitel sichern, verlangte aber als Preis seine eigene Absicherung. Boos gelang es tatsächlich von dem zeitweilig im Koma liegenden Kurfürsten Walderdorff die Zustimmung zu seinem Plan zu erhalten. Dann reiste er sofort nach Freising, um mit Clemens Wenzeslaus die Wahlkapitulation, d.h. den Vertrag zwischen dem Domkapitel und dem Kandidaten, abzustimmen. Danach sollte Clemens Wenzeslaus die Privatschulden des Kurfürsten in Höhe von 100.000 Gulden übernehmen, sich beim französischen König Ludwig XV. für die Zahlung der ausstehenden Kriegsentschädigungen einsetzen, jedem Domkapitular 12.000 Gulden zahlen, der Familie und Hofhaltung des Kurfürsten Straffreiheit zusichern und die Personalentscheidungen des Domkapitels während der Vakanz nachträglich billigen. Außerdem musste Clemens Wenzeslaus zusichern, erst nach dem Tod des Kurfürsten oder wenn dieser ihn (wider Erwarten) zur Mitarbeit rufe, in das Kurfürstentum zu kommen. Als Gegenleistung sicherte Boos die einstimmige Wahl zum Koadjutor mit Nachfolgerecht durch das gesamte Domkapitel zu.

Aufgrund der politischen Großwetterlage (Seeblockade Englands) und der bürgerkriegsähnlichen Unruhen im Kurfürstentum (Studentenrevolte), gab es zwar noch erhebliche Widerstände gegen Clemens Wenzeslaus, doch nach Eingang eines päpstlichen Breve, galt seine Wahl durch das Trierer Domkapitel als gesichert und sollte am 19. Januar 1768 stattfinden. Doch am 10. Januar starb der Kurfürst Johann Philipp von Walderdorff und wurde im Trierer Dom beigesetzt.

Statt der Wahl eines Koadjutors stand nun die Wahl des neuen Kurfürsten an. Die Empfehlung der Kaiserin Maria Theresia und neue Zusicherungen an das Domkapitel gab den Ausschlag für Clemens Wenzeslaus als neuer Kurfürst von Trier. Durch päpstliches Breve wurde außerdem gesichert, dass dieser Freising und Regensburg bis zur Übernahme des Bistums Augsburg beibehalten durfte.

Am 10. Februar 1768 wurde Clemens Wenzeslaus nach einer Messe mit Weihbischof Hontheim vom Trierer Domkapitel einstimmig per Akklamation gewählt. Der Domdekan nahm in seinem Namen die Wahl an. Als Kurfürst von Trier schloss Clemens Wenzeslaus seine Karriere durch einen weiteren erfolgreichen Pfründenhandel ab: Der Fürstpropst von Ellwangen, Anton Ignaz von Fugger, vermittelte dem 13jährigen kaiserlichen Prinzen Maximilian Anton, Sohn von Kaiser Franz und seiner Gemahlin Maria Theresia, die Mitgliedschaft im Kölner Domkapitel und damit die Voraussetzung für seine spätere Wahl zum Kölner Kurfürsten. Dafür setzte sich Clemens Wenzeslaus dafür ein, dass der Fürstpropst seine Nachfolge als Bischof von Regensburg antreten konnte. Als Abschluss dieses "Wettiner Kuhhandels" wurde Clemens Wenzeslaus Koadjutor von Ellwangen und später dessen Fürstpropst. (Anm.:90) Damit war er einer der einflussreichsten Hierarchen der Katholischen Reichskirche.



Anmerkungen

  • 66 Raab, Bischof und Fürst (1989) 319; vgl. ders. Art. Geistlichkeit, in: Lexikon zum aufgeklärten Absolutismus in Europa (2005).
  • 67 Das Päpstliche Besetzungsrecht war durch den Westfälischen Frieden außer Kraft gesetzt worden; ebd. 325.
  • 68 Die vier Sitzungen des Konzils fanden zwischen 1545 und 1564 statt.
  • 69 In der Regel durch einen Nuntius bzw. dessen Delegaten ausgesprochn.
  • 70 Aministrator für die staatlichen und kirchlichen Belange. Vgl. Raab Bischof und Fürst (1989), 329.
  • 71 So sein Alter, das Fehlen der theologischen Ausbildung und der höheren Weihen.
  • 72 Marx gibt den 17. Mai als Datum an.
  • 73 Gleichzeitig Fürstbischof von Münster, Hildesheim, Paderborn und Osnabrück. Vgl. Raab, Clemens Wenzeslaus (1962), 129.
  • 74 —1758 hatten die Landstände des Herzogtums Kurland den Bruder von Clemens Wenzeslaus, den Sachsenprinzen Karl, zum Herzog gewählt. Als Entschädigung für annektierte Gebiete wollte Russland dem gewählten Herzog die säkularisierten Hochstifte Paderborn und Hildesheim anbieten. Dieser Länderschacher wurde aber vom Sächsischen Kurfürsten Friedrich August II. in seiner Eigenschaft als polnischer König vereitelt. So zerschlugen sich alle Hoffnungen für Clemens Wenzeslaus.
  • 75 Im Abkommen von Engers verzichtete der Trierer Kurfürst gegen beträchtliche Geldzahlungen und Rechte auf seine Kandidatur. Vgl. Raab, Clemens Wenzeslaus (1962), 174.
  • 76 Der gleichzeitig Bischof von Regensburg und Freising war.
  • 77 Raab, Clemens Wenzeslaus (1962), 184.
  • 78 So beschreibt es Clemens Wenzeslaus in einem Brief an seinen Bruder Friedrich Christian; vgl. Raab, Clemens Wenzeslaus (1762), 190.
  • 79 Ebd. 158.
  • 80 Vgl.ebd. 194
  • 81 Die päpstlichen Dispensen erlaubten mittlerweile in der Regel nur die Besitznahme von 2 Bistümern.
  • 82 Wenn die im Breve genannte Besetzungsfrist nicht eingehalten wurde, konnte die Entscheidung an den Papst zurückfallen.
  • 83 Vgl. ebd. 239f.
  • 84 Vgl. Wächter, Degen und Krummstab (1978),128ff.
  • 85 Vgl. Kraus, ADB (1876),
  • 86 Raab, Bischof und Fürst (1989); >Dispens wegen fehlendem Doktorgrad und fehlender Priesterweihe.
  • 87 Ebd. 329
  • 88 Heim Manfred, Die Bischofsweihe (2003). Der Bericht ist in der Sprache der barockenen Hofsprache verfasst. Deshalb wird hier der Originalbuchtitel wieder gegeben. "Beschreibung derer Bey vorgewest- unterm 10.ten August des Ein Tausend Siebenhundert Sechs- und Sechzigsten Jahrs Vollzogene Consecration Des Hochwürdigst-Durchlauchtigen Fürsten und Herrn Clementis Wenceslai Bischoffen zu Freysing und Regenspurg, Dann Koadjutoris zu Augspurg, Königl. Prinzen in Pohlen, und Lithauen, Herzogen zu Sachsen, Jülich, Cleve, Bergen, Engern und Westphalen, Landgrafen in Thüringen, Marggrafen zu Meißen, dann der Ober- und Niedern-Laußniz, des Heil.Röm. Reichs Fürsten, gefürsteten Grafen zu Henneberg, Grafen zu der Mark, Ravensperg, Barby und Hanau, Herrn zu Rabenstein etc.etc. Vorangegangenen Feyerlichkeiten. Verfaßt Von einem in tieffster Ehrforcht treu gehorsamsten Diener, Zu Freysing, Im offentlichen Druck gegeben bey Philipp Ludwig Böck, Hochfürstlich Bischöflichen Hof- und Lyceischen Buchdrucker."
  • 89 Vgl. Raab, Clemens Wenzeslaus (1962), 263ff
  • 90 Raab, Bischof und Fürst (1989); 326.




2. Teil

III. Seine Eminenz

  1. Erzbistum und Erzstift Trier
  2. Die Vorgänger auf dem Trierer Kurfürstenstuhl
  3. Seine Eminenz: Erzbischof und Kurfürst von Trier
  4. Zwischen den Fronten: Die Auseinandersetzung um Febronius.
  5. Clemens Wenzeslaus und die Aufklärung
  6. Protestanten und Juden in Erzstift und Erzbistum
  7. Königliche Hoheit, Kurfürstliche Gnaden, Fürstbischöfliche Eminenz
  8. Auf der Flucht, Machtverlust und Säkularisation
  9. Heimgang
  10. Literatur

10 Resümee





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