Das ökumenische Wunder
von Bendorf
Amtseinführung eines evangelischen Pfarrers
im Bendorfer Hedwig-Dransfeld-Haus
von Dieter Kittlauß
Am Sonntag, dem 9. Januar 1977, geschah in der Kapelle des
ehemaligen Bendorfer Hedwig-Dransfeld-Hauses (HDH) eine kleine Sensation. In
einem Gottesdienst um 15 Uhr wurde der evangelische Pfarrer Horst Adams durch
den Superintendenten des Evangelischen Kirchenkreises Koblenz in sein Amt als
"kreiskirchlicher Pfarrer für ökumenische Erwachsenenbildung im
Hedwig-Dransfeld-Haus" eingeführt.
Die Gottesdienstgemeinde, die sich dazu versammelt hatte, war mehr
als bedeutsam. Die Evangelische Landeskirche im Rheinland war durch den
Oberkirchenrat Dr. Siepmann und das Bistum Trier durch seinen Generalvikar,
Prof. Hoffmann, vertreten. Aus der Region kamen die katholischen Regionaldekane
Lambert (Region Koblenz) und Feichtner (Region Neuwied), der evangelische
Superintendent Warnecke vom Kirchenkreis Koblenz und der katholische Dechant
Schneider aus Bendorf, der evangelische Pfarrer von Bendorf Peter Gleiß
und mehrere seiner Kollegen aus verschiedenen Kirchenkreisen. Für die
Stadt Bendorf waren Bürgermeister Karl Schön und die Vertreter aller
Fraktionen im Stadtrat anwesend; die Landesregierung Mainz vertrat
Staatssekretär Prof. Mohr. Landtags- und Bundestagsabgeordnete aus
mehreren Bundesländern waren angereist. Neben Anneliese Debray, der
Direktorin des Hauses und Dr. Lotte Schiffler (Stadtälteste von Frankfurt)
als Vertreterin des HDH-Vorstands sowie die wichtigsten Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des HDH füllten die Kapelle. Auch die Jüdische Gemeinde
Koblenz war mit Dr. Heinz Kahn vertreten.
Nachdem die Glocke im kleinen Kapellenturm ihr Geläut beendet
hatte, begann Superintendent Warnecke die Amtshandlung mit Eingangsspruch,
Gebet und einer Ansprache. Dann kniete Pfarrer Horst Adams vor dem Altar nieder
und erhielt für sein Amt den Segen der anwesenden Geistlichen.
Anschließend hielt Pfarrer Adams ganz nach der evangelischen Tradition
seine Antrittspredigt zu dem Bibelwort "Einer ist Euer Meister. Ihr alle seid
aber Brüder". Mit zwei Musikstücken und mehreren Liedern wurde das
Rahmenprogramm gestaltet. Anschließend an die Amtseinführung
versammelte sich die Gottesdienstgemeinde in der Gymnastikhalle des
Gussie-Adenauer-Hauses (Mütterkurheim) zu einem Festakt. Soweit die
Fakten. Nicht nur diese Amtseinführung sondern auch die zugrundeliegende
Anstellung durch den Evangelischen Kirchenkreis waren für die damalige
Zeit etwas Einzigartiges, aus heutiger Sicht sogar unvorstellbar. Um zu
verstehen, was damals vor 37 Jahren geschah, soll der geschichtliche
Hintergrund erläutert werden.
Durch die vielfache Not der Kriegs- und Nachkriegszeit
rückten in Deutschland Protestanten und Katholiken näher zusammen und
durch die Flüchtlingsbewegungen der Nachkriegszeit wurden die
konfessionell geprägten Gebiete stark verändert. Sowohl in den
Kirchen des Protestantismus wie in der Katholischen Kirche kam es zu
Rückbesinnungen und Veränderungen, die ein in der Welt einzigartiges
ökumenisches Klima schufen und sich auf Leben, Gottesdienst und Theologie
auswirkten. Bereits 1943 hatte Papst Pius XII. mit seiner Enzyklika "Divino
afflante spiritu" (Durch das Wehen des Göttlichen Geistes) die
Wissenschaftliche Bibelforschung rehabilitiert, die bisher in der katholischen
Theologie verboten war. Diese theologische Öffnung der Katholischen Kirche
rückte die Bibel in die Mitte zwischen den Konfessionen. Mit rasanter
Geschwindigkeit kam es zu einer Annäherung der über Jahrhunderte
verfeindeten Kirchen. Den Abschluss dieser ökumenischen Bewegung bildete
für die Katholische Kirche das II. Vatikanische Konzil. Die Hoffnung auf
gegenseitige Versöhnung und Anerkennung war groß.
In Bendorf gab es das Hedwig-Dransfeld-Haus (HDH), das 1925 vom
Katholischen deutschen Frauenbund als Zentrum für Bildung und Erholung von
Frauen gegründet worden war. Nach dem Krieg gelang es den Frauen um
Anneliese Debray und Lotte Schiffler, das HDH neu zu beleben und die
Versöhnung zwischen Religionen und Nationen zu einem weiteren Schwerpunkt
der Arbeit zu entwickeln. Die ökumenische Ausrichtung des Hauses war der
Anlass, das HDH zum Mittelpunkt der Ökumenischen Bewegung zu gestalten.
Die Pioniere dieser Idee waren Anneliese Debray. die Direktorin des HDH, und
Dr. Jürgen Wichmann, Direktor der Katholischen Akademie Trier. Dazu kam
ein Kreis ökumenisch aufgeschlossener Frauen und Männer wie
Oberkirchenrat Siepmann von der Düsseldorfer Kirchenleitung der
Rheinischen Landeskirche und Prof. Dr. Linus Hofmann, der Generalvikar des
Bistums Trier; die katholischen Regionaldekane von Koblenz, Neuwied und Mayen,
der Superintendent des Kirchenkreises Koblenz, der Leiter des evangelischen
Regionalbildungswerkes Dr. Dieter Bach sowie katholische und evangelische
Pfarrer der Region. Auch leitende Mitarbeiter der Evangelischen Landeskirche
Hessen-Nassau und des Bistums Limburg gehörten dazu.
Es entstand so etwas wie ein Traum: Die Evangelischen
Landeskirchen und die katholischen Bistümer des Mittelrheins beteiligen
sich personell und finanziell an der Entwicklung des HDH zum ökumenischen
Zentrum. Den organisatorischen Rahmen sollte die Erwachsenenbildung geben, die
sich damals auch in den Kirchen konsolidierte. Um das Ziel zu erreichen.
sollten zwei Theologen (katholisch und evangelisch) als Studienleiter das neue
ökumenische Zentrum aufbauen und so den Geist der Ökumene im HDH wie
auch in der ganzen Region lebendig halten. In den Protokollen der
Vorbereitungsplanung werden als Zielgruppen genannt: "Pfarrgemeinderäte
und Presbyterien, Kommunalpolitiker, Gemeinderäte. Akademiker, kirchliche
Mitarbeiter in beiden Kirchen. Küster, Sekretäre, Seelsorgehelfer
usw.. Religionslehrer und Katechten". Doch das Tempo der ökumenischen
Annäherung zwischen den Kirchen, das im HDH eingeschlagen wurde,
kollidierte mit der wachsenden Restauration. In den Evangelischen Kirchen
nistete sich das Wort des Thüringer Landesbischofs Moritz Mitzenheim "Hohe
Zäune - gute Nachbarn" ein. In der Katholischen Kirche setzte sich das
Streben nach Abgrenzung und Identität durch. Dazu zeigten sich bei dem
HDH-Ökumene-Projekt sachliche und persönliche Störfaktoren durch
die unterschiedlichen Ziele der beteiligten Personen, So platzte wie eine
Seifenblase der Traum vom Ökumenischen Zentrum.
Ende der siebziger Jahre löste sich der Ökumenische
Beirat auf. Als Horst Adams 1981 in den Pfarrdienst nach Rengsdorf wechselte,
wurde die Planstelle unter den Nachfolgern von ihrer Einbindung in das HDH
gelöst. Dementsprechend entfiel auch die Amtseinführung im HDH. Dass
es dann dennoch noch einmal zu vielen ökumenischen Initiativen im
damaligen HDH kam. lag an der ökumenischen Kooperation von Pfarrer Horst
Eisel und Dieter Kittlauß, dem Direktor des HDH. Die vom
Ökumenischen Weltrat formulierte "Versöhnte Verschiedenheit" wurde im
Bendorfer Wenigerbachtal durch die Zusammenarbeit von zwei Theologen noch
einmal für 15 Jahre zur Realität und so das Bendorfer HDH zum Modell
für eine lebendige Kirche.
Fototext: In der Mitte des Bildes kniet Pfarrer Horst Adams und
Superintendent Warnecke legt ihm die Hand auf. Rechts daneben Oberkirchenrat
Siepmann von der Düsseldorfer Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im
Rheinland, die Direktorin des HDH. Anneliese Debray, und Lotte Schiffler,
Stadtälteste von Frankfurt, als Vertreterin des HDH- Vorstands. Links der
katholische Theologe Dr. Georg Evers. Die Anstellung eines Laientheologen war
der Kompromiss, für den sich das Bistum Trier entschieden hatte. Im
Hintergrund der Altar, zwei Leuchter (gestaltet von Eugen Keller) und eine
russische Ikone.
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