Das Bendorfer Hedwig - Dransfeld - Haus
in den Jahren von 1980 bis 1996

Konflikt, Kontinuität und Neuanfang

Von Dieter Kittlauß


Zur Einführung und Vertiefung der Geschichte des Hedwig - Dransfeld - Hauses in Bendorf sei auf früher veröffentlichte Beiträge des Autors verwiesen:

Von der Villa Sayn - zum Hedwig-Dransfeld-Haus in Bendorf am Rhein
Die Kapelle des Hedwig-Dransfeld-Hauses in Bendorf am Rhein
Dr. Charlotte (Lotte) Schiffler
In Erinnerung an Anneliese Debray


Dieser Beitrag ist in mehrere Themenbereiche aufgegliedert und setzt zeitlich bei dem Rücktritt von Anneliese Debray als Direktorin des Hedwig - Dransfeld - Hauses an.

Die für diesen Beitrag ausgewählten Fotos sind auch auf einer eigens angelegten Foto-Liste einzeln abzurufen.
alle im Text gezeigten kleine Fotos sind als kommentierte Großfotos abrufbar


Internationale Begegnungsarbeit in einer sich ändernden Welt

Anneliese Debray hatte die Vision des Schulterschlusses:

nach Westen - das hieß Frankreich
nach Osten - das hieß Polen
nach Süden - das hieß Israel
Der Weg: viele persönliche Beziehungen und Freundschaften, Begegnungen und Seminare.

Die deutsch - französischen Begegnungen gehen bis in die Zeit des Jugendbundes nach 1926 zurück und wurden durch Anneliese Debray und ihre französischen Freundinnen und Freunde nach dem Krieg neu aufgegriffen. So war es kein Wunder, dass das HDH eines der ersten Mitglieder des Deutsch - Französischen Jugendwerkes wurde. Partner waren die Guides de France, die französischen Pfadfinderinnen, die sich besonders um Behinderte kümmerten. Hintergrund waren persönliche Beziehungen zwischen Anneliese Debray und der damaligen Leiterin der Guides de France. Durch den Generationswechsel in Frankreich geriet diese Arbeit in die Krise und durch den Weggang der drei französischen Mitarbeiter im HDH 1976 kam es zum totalen Einbruch. Aber es gelang Dieter Kittlauß, trotz fehlender französischer Sprachkenntnisse die deutsch - französischen Seminare durch ein Netzwerk von persönlichen Beziehungen und Freundschaften zwischen jungen Menschen neu aufzubauen. Als Dorothea Begger ain das HDH kam, übernahm sie die deutsch - französische Jugendarbeit.

Gerade die Jugendarbeit ist ein Seismograf für die Beziehungen zwischen Völkern, dies zeigt sich auch sehr deutlich in der Entwicklung der deutsch - französischen Jugendarbeit. Für junge Menschen in Frankreich und in Deutschland wurde die Welt größer, der Frieden selbstverständlicher, aber auch die Last der Vergangenheit blasser. Dies wirkte sich in jüngster Zeit auch auf die deutsch - französische Jugendarbeit aus.

Besondere Bedeutung gewann der Aufbau der Beziehungen nach Polen. Hier bot sich bereits vor 1970 die polnische "Pax", eine der vom kommunistischen Staat akzeptierten christlichen Organisationen zur Zusammenarbeit an. Zunächst waren diese Kontakte für die Funktionäre der PAX - Organisation eine gute Gelegenheit für eine preiswerte Westreise mit der ganzen Familie und geschätzte "Westkontakte". Mit der Einführung des Kriegsrechtes in Polen 1981/82 kam es zur Unterbrechung. Nach Beendigung des Kriegsrechtes erhielt Dieter Kittlauß aus Polen Informationen, dass die Kontakte zur PAX nicht mehr zu verantworten seien, da sich einige ihrer Funktionäre als Denunzianten diskriminiert hätten. So musste ein Schnitt gezogen und die Arbeit neu aufgebaut werden. Im Katholischen Intelligenzclub (KIK) in Warschau fand sich schließlich ein geeigneter neuer Partner. Im Sommer 1982 wurde das erste Seminar mit polnischen Studentinnen und Studenten im HDH durchgeführt, eine Tradition, die sich dann kontinuierlich fortsetzte. Von polnischer Seite aus war es der Journalist Taddäusz Mijalski ( ) aus Warschau, der trotz Partnerwechsel unermüdlich die Kontinuität garantierte und bei mehreren Programmen in Deutschland und in Polen trotz seines hohen Alters den Dolmetscherpart übernahm. In jüngster Zeit hat Bildungsreferent Martin Kaiser den deutsch - polnischen Jugendaustausch weitergeführt.

Als tief religiöser Mensch sahen Anneliese Debray und Charlotte Schiffler ein besonderes Defizit in der gegenseitigen Entfremdung zwischen Juden und Christen. So wurde die theologische Arbeit mit Juden und die Beziehungen nach Israel zu einer Mitte des HDH. Dieter Kittlauß war es ein Vermächtnis, diesen Brückenbau fortzusetzen. Für die Jugendarbeit mit Israel boten sich zwei gewachsene, aber ganz unterschiedliche Kontakte an: die Jugendorganisation der National - Religiösen Partei (NRP - Young Generation) und verschiedene Community - Center in Nordisrael. Die Nationalreligiöse Partei gehörte damals in Israel politisch zu der äußeren rechten Mitte und war durch religiös - konservative Haltung gekennzeichnet. Der Kontakt zur NRP bot sich an, da sich eigentlich alle, die in der Bundesrepublik am deutsch - israelischen Jugendaustausch beteiligt waren, vor der Zusammenarbeit mit dieser Gruppe scheuten, obwohl die NRP durch ihre Regierungsbeteiligung in Israel großen Einfluss in dem Vergabeausschuss für Mittel aus dem Bundesjugendplan hatte. Zusammenarbeit mit der NRP aber hieß: Garantierung aller Regeln des Shabbat, durchgängig koschere Verpflegung und genaue Beachtung des jüdischen Kalenders. Dies alles war mühsam und teuer. Aber die Liebe zum Staat und Volk Israel war im HDH ein ehernes Gesetz.

Eine Episode aus dieser Arbeit: Dieter Kittlauß leitete das Programm für eine Gruppe der NRP. Die israelische Leiterin war eine Pädagogikprofessorin. Am Freitagabend sagte sie zu ihm: "Komm bitte nachher auf mein Zimmer". Tiefes Erschrecken über das vermutete One - Night - stand - Denken. Aber es klärte sich alles auf: Als religiöse Jüdin wollte sie nicht den Lichtschalter betätigen.

Die Zusammenarbeit mit den galiläischen Community - Center wurde über den rumänischen Israeli, Dr. Ruven Moskovisz, vermittelt. Dieser hat in Deutschland studiert und arbeitet in Israel als freier Journalist, Dolmetscher und Reiseleiter. Er zählt in Israel zu den leidenschaftlichen Verfechtern einer Aussöhnung zwischen dem Staat Israel und dem palästinensischen Volk. Das Besondere dieses Austausches war die Zusammensetzung der Gruppen aus Israel aus muslimischen Arabern, liberalen und orthodoxen Juden sowie melkitischen Christen. Damals der 80iger Jahre gehörte diese Dialogarbeit zu den Pionierleistungen im deutsch - israelischen Dialog.

Das junge Russland in Bendorf

Es wäre über die internationale Arbeit noch vieles zu berichten. Mehrere Jahre gab es Austauschprogramme mit Studentinnen und Studenten aus Tunesien und mit britischen Behindertenclubs.1990 entwickelte Dieter Kittlauß die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt der Stadt Madrid und der italienischen Jugendorganisation AKLI (italienische Arbeiterjugend). Bildungsreferent Martin Kaiser gelang es, Beziehungen zur Universität in Vilnius (Vilna /Litauen) zu knüpfen und qualifizierte Programme zu arrangieren. Besonders wichtig wurde in den Jahren nach der politischen Wende der Austausch mit jungen Künstlern, Studierenden und Professoren aus Moskau. Dieter Kittlauß griff hier eine Vision von Anneliese Debray auf, sich an der Versöhnung mit Russland engagiert zu beteiligen. Partner dieser Arbeit waren die Dekanin der englischen Fakultät der Moskauer Universität und mehrere Moskauer Künstlergruppen. Besondere Höhepunkte waren 1995 die Teilnahme eines Moskauer Chores an der Ostertagung im HDH und Spezialprogramme mit russischen Professoren 1995 und 1996.

Nicht vergessen werden darf die Arbeit mit Asylbewerbern und Flüchtlingen, die in Kooperation mit der Sozialarbeiterin, Irmgard Siemen, vom Caritasverband Boppard durchgeführt wurden. Die 70er und 80er Jahre waren durch ein enormes Anwachsen der Flüchtlingszahlen gekennzeichnet. Die gesellschaftliche Diskussion war kontrovers. Der Gesetzgeber versuchte durch ein Maßnahmebündel von Einschränkungen abschreckend zu wirken. Dazu gehörten Zwangszuweisung auf einen bestimmten Kreis und Aufenthaltsbeschränkung sowie Verweigerung der Arbeitserlaubnis und Verbot von Bildungsmaßnahmen.

Dieter Kittlauß berichtete: "Wir waren für die gesetzgeberischen Maßnahmen nicht verantwortlich. Aber wir wollten uns dafür einsetzen, dass die Flüchtlinge, die wir in unser Land hereinlassen, in ihrer Menschenwürde geachtet wurden. Deshalb haben wir bereits in den 80er Jahren Bildungswochen für Flüchtlinge durchgeführt, obwohl dies damals weder erwünscht noch offiziell erlaubt war. So war es verboten, mit Flüchtlingen aus dem Kreis Mayen Koblenz nach Koblenz oder nach Bonn zu fahren. Wir haben dies dennoch getan. Auch die Verständigungsprobleme waren groß. Wir mussten es mühsam lernen, dass die afrikanischen Männer unter der sexuellen Enthaltsamkeit enorm litten und deshalb ihnen gegenüber alle Frauen äußerst vorsichtig und zurückhaltend sein müssen".

Viele Episoden gäbe es von den Flüchtlingsfamilien zu erzählen, denen im HDH für kurze oder längere Zeit Wohnung geboten wurde: in der ehemaligen Jugendherberge, im ausgebauten Bodentrakt des Annenhauses, in der Wohnung über der Hausmeisterei, im Obergeschoss des Haupthauses. Es waren Familien aus Bosnien, Rumänien und aus Afrika. In besonderer Erinnerung blieben die rumänischen Zigeuner, denen zunächst alle ziemlich misstrauisch begegneten, bis begriffen wurde, dass für Zigeuner das Gastrecht immer noch etwas Heiliges ist. Im Rahmen der eigenen begrenzten Möglichkeiten wurden pädagogisch ausgebildete Flüchtlinge als Helfer in der Bildungs- und Kurarbeit gewonnen, auch wenn es immer einen Kampf kostete, die erforderliche Erlaubnis zu bekommen.

hier weitere Fotos
Französische Pfadfinderinnen in Bendorf
Studentengruppe aus Tunesien
Auf dem jüdischen Friedhof in Sayn
Abreise einer polnischen Gruppe
Jose Monroy Vespertinas- ein spanischer Philosoph
Japanische Stadträte 1993 für eine Woche in Bendorf
Studienreise nach Moskau


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